TOPOS 5

Jos Lensink

Materialistische Dialektik: Aufhebung der Philosophie überhaupt?


Materialistic Dialectic: Elevation of the philosophy in toto?: It is my hypothesis that it is the hallmark of Friedrich Engels materiillistic dialectic that philosophy is at once radically and fundamentally annihilated and elevated to what philosophy originally ›desires‹ to be: prima philosophia. Earlier Kant had brought back the ›objective‹ character of philosphy back to its own, real appearance; and the same had been done by Hegel for philosophy's transcendental character. Analogously, Engels unmasking of the idealistic character of philosophy can be understood neither in terms of being or not being philosophy nor in those of being more or less philosophy. Through his materialistic reversal and transformation of Hegel's speculative idealistic system, Engels was intent on making a contribution to the elevation of philosophy to science. It is the heart of speculative materialistic dialectic - and also this dialectic means to think only the absolute as absolute - to construct totality in such a way that for that what is necessarily thought the thought itself is not necessary. But Engels intended materialistic elevation of philosophy presupposes the ›dialectic becoming‹ of the (theoretical-)empirical sciences. This means at least that it becomes possible to broaden and deepen empirical knowledge in its continual differentiation of itself.

Zur Einführung: Zu wenig oder zu viel (an) Philosophie?

Nicht zufällig ist die kritisch-polemische Reaktion auf den von Friedrich Engels in dessen Anti-Dühring und Dialektik der Natur rudimentär skizzierten Entwurf einer materialistischen Dialektik unterschiedlicher und prima facie sogar widersprüchlicher Natur. Während einerseits das Klischee erzeugt wird, diese sogenannte Dialektik sei nicht (viel) mehr als ein auf den damaligen Stand der Naturwissenschaften zugeschnittener, also mechanistischer(!) Materialismus bzw. Naturalismus, wird andererseits auf karikierende Art und Weise suggeriert, daß dieser sogenannte Materialismus nichts anderes beinhalte als die mit großer rhetorischer Gewalt in der traditionellen, also idealistischen(!) Metaphysik festgeschriebenen ›spekulativ‹-gedanklichen Konstruktionen. Von der einen Seite wird die materialistische Dialektik als ein Unternehmen betrachtet, das die Philosophie, laut Lefebvre, nur in Mißkredit bringt:[1] Dialektik (d.h.: eigentliche Philosophie) ist ja »kein ewiges Weltgesetz«, sondern geht »mit dem Menschen unter«[2], und jeglicher Versuch, sie in einer vom Menschen (bzw. seiner Aktivität) unabhängigen Natur unterzubringen, führt per definitionem zu einer Naturalisierung (d.h.: Mechanisierung) der menschlichen Geschichte, d.h. zu einer »Entmenschlichung« der Dialektik.[3] Von der anderen Seite wird Engels’ materialistische Dialektik als ein (spekulativ-) idealistisches und dogmatisches Gebäude gekennzeichnet, das die Naturwissenschaften, so J. Monod, unnötig mit anthropomorpher und »animistischer Projection« belastet bzw. lähmt:[4] empirische Naturerkenntnis (oder: positive Wissenschaft) würde ja »rein« empirisch und formallogisch vorgehen,[5] sei, was ihren theoretischen Status angeht, ausschließlich von »hypothetischer Art« [6], und jede essentialistische Tendenz, der Natur (bzw. der Naturwissenschaft) eine sogenannte dynamische Ontologie, d.h. »dialektische Logik« aufzuerlegen[7] endet zweifellos mit einer »Anthropologisierung« der Natur und einem (rein) philosophisch Werden der Naturwissenschaft.[8] Kurz gesagt: als Entwurf einer materialistischen Dialektik scheint Engels die Philosophie zugunsten der positiven Wissenschaften (zu Unrecht) destruiert zu haben; als Skizze einer materialistischen Dialektik habe er gerade auf Kosten derselben positiven Wissenschaften die Philosophie (zu Unrecht) kultiviert. Als (doppelseitige) Karikatur mag dieses Bild höchst widersprüchlich sein; hat Engels die Philosophie nun vernichtet oder vielmehr gefördert? In dieser Karikatur selbst, d.h.: in der von bei den Seiten beabsichtigten Ablehnung der von Engels entworfenen materialistischen Dialektik, liegt genau ihre Gemeinsamkeit.

Trotz dieser geteilten Ablehnung weist die darin zugrundeliegende widersprüchliche Vorstellung darauf hin, daß diese ihre Grundlage auch darin haben könnte, was für Engels’ Dialektik konstitutiv genannt werden darf. Anders formuliert: die widersprüchliche {Klischee-)Vorstellung verweist auch auf eine für Engels’ materialistische Dialektik kennzeichnende und konstituierende innerliche Spannung, nämlich eine ebenso radikale Negation der Philosophie überhaupt wie auch eine Rückkehr zu derselben zu sein .. Die Philosophie auf die gründlichste Art und Weise zu negieren und sie gleichzeitig zu dem zu erheben, was die Philosophie ursprünglich sein will, philosophia prima, scheinen, so lautet meine Hypothese,[9] kennzeichnend dafür, was mit materialistischer Dialektik gemeint wird. Im Prinzip ist mit dieser materialistischen Dialektik die Philosophie denn auch überhaupt aufgehoben. Es kommt allerdings jetzt darauf an, das Was und Wie dieser Aufhebung zu Vernunft und auf den Begriff zu bringen. Was ist, mit anderen Worten, nachdem (insbesondere) Kant und Hegel das metaphysische Erbe grundlegend transformiert haben, nun das Eigene und Besondere dieser Aufhebung, wodurch expressis verbis von einer »Aufhebung der Philosophie überhaupt« die Rede ist?

1. Aufhebung der Philosophie als Transformation zur »ersten Philosophie«

Daß mit (jeder) Philosophie auch immer ihre Aufhebung gegeben ist, ist ihr angesichts dessen, was Philosophie sein kann und muß, unter keiner Bedingung wesensfremd. Philosophie, die sich nämlich danach richtet, was Philosophie sein will (und wonach sollte die Philosophie sich sonst richten müssen!), ist, um mit Hegel zu sprechen, dazu gezwungen, die »Liebe zum Wissen« zu einem »wirklichen Wissen« zu transformieren.[10] Oder: ursprünglich und prinzipiell ist (der) Philosophie eigen - d.h. insofern sie an ihrer ursprünglichen Intention und ihrem ursprünglichen Anspruch festhält sich qua Philosophie zu negieren, um sich »der Form von Wissenschaft« zu nähern.[11] Erst als Wissenschaft nämlich - und das bedeutet als ein Wissen des Absoluten als das Absolute - ist Philosophie das, was sie sein kann und muß: von dem, was ist, begreifen, was es ist! Erst als Wissenschaft also ist Philosophie, aristotelisch gesehen, »erste« Philosophie, ist sie die (immer von uns gesuchte)[12] »Wissenschaft des Seienden als Seienden und des als solchen ihm zukommenden«[13]. Deshalb gilt in umgekehrtem Sinne ebensosehr, daß nur, insofern die Philosophie ihren Anspruch als ›erste Philosophie‹ eingelöst hat, von Wissenschaft die Rede sein kann, d.h.: ausschließlich das Absolute als das Absolute zu wissen. In gewisser Hinsicht und pointiert kann folgendes aufrechterhalten werden: insofern eine Philosophie ihren Anspruch als erste Philosophie einlösen kann und plausibel sein läßt, ist sie keine Philosophie (mehr); insofern sie aber (noch) Philosophie ist, kann sie keine Rechte geltend machen auf den Titel ›erste‹ Philosophie. Die auf diese Weise in Betracht zu nehmende (Selbst- )Aufhebung der Philosophie ist daher dem inhärent, was Philosophie (objektiv) sein kann und muß, nämlich ›erste‹ Philosophie, d.h. zu verstehen, was von den Dingen wirklich ist, bzw. zu denken, was die Dinge in Wirklichkeit wahrheitsgemäß sind.

Also was mit Philosophie gemeint ist, kann nur mittels ihrer Aufhebung erreicht und gewonnen werden. Wenn diese (Selbst)Aufhebung jedoch immanenter Teil dessen ist, was Philosophie ursprünglich ist bzw. zu sein meint, dann muß die Natur dieser Aufhebung näher begriffen werden: Was heißt hier eigentlich »aufheben«? Was kann und muß in diesem Licht aufgehoben werden? Und was ist schließlich die Reichweite und das Resultat dieser Aufhebung?

Die Logik ihrer Aufhebung nun impliziert auf jeden Fall erstens, daß die Philosophie negiert wird, besser: sich negiert. Allerdings in einer bestimmten Weise und in einer bestimmten Beziehung, denn sie ist ja eine bestimmte Negation. Was sie von sich selbst rückgängig und zunichte macht, ist (noch) nicht (ein) Wissen, insofern sie (etwas) noch nicht begreift. Womöglich widerspricht und widerlegt sie, daß ihr eigener (subjektiver) Anfang als das Prinzip und der Grund betrachtet werden dürfen. Anders: Die Bestimmtheit ihrer Negation besteht darin, daß sie nachweist, daß ihr Anfang nachträglich beweisbar (und erklärbar) ist.

Weiterhin impliziert diese Logik, daß die Philosophie in gewisser Hinsicht auch erhalten und etwas von der bereits gewonnenen Philosophie reserviert wird. Was sie für sich selbst behält und unversehrt läßt, ist nicht mehr und nicht weniger als dasjenige, was aufgrund ihrer ersten Annahme bereits bewiesen ist, nämlich die auf den Begriff gebrachte und erst dadurch entwickelte ursprüngliche Idee. Anders gesagt: Was mitgenommen wird, ist ein durch Wissen gewonnenes Ganzes als (offensichtlich nur ein) Moment des Absoluten. Das Wissen eines Ganzen, das sich zwar als eine Möglichkeit, nicht aber als die Notwendigkeit des Ganzen erweist.

Schließlich impliziert diese Logik der Aufhebung, daß die Philosophie zu einer neuen Philosophie erhoben wird, zu einem Begriff, der sich (relativ) stärker der Wissenschaft annähert. In ihrer Erhebung zu (einer neuen) Philosophie erweist sie sich also weniger als Philosophie und mehr als Wissenschaft bzw. als ein besseres Wissen. Aufgrund ihrer Erhebung ist sie ihrer (subjektiven) Form nach weniger und ihrem (objektiven) Inhalt nach gerade mehr Philosophie. Als letzte Erklärung ist sie offenbar adäquater und verschafft sie den Dingen mehr Grund und Zusammenhang als die von ihr aufgehobene (negierte und erhaltene) Philosophie.

Diese, der philosophischen Denkbewegung, der Bewegung der Philosophie immanente Logik ihrer Aufhebung bildet gewissermaßen die Formalstruktur der in ihrer historischen Entwicklung zu einer ersten Philosophie faßbare, d.h. als Wissenschaft zu konstituierende Philosophie. Die Logik dieser Aufhebung ist nicht mehr als die abstrakte Zusammenfassung einer der Philosophie inhärenten, ausschließlich am Begriff des Absoluten orientierten Prozeßmäßigkeit. Die historische Transformation der (ersten) Philosophie zur (strengen) Wissenschaft ist in diesem Sinne der hypothetisch notwendige Weg, den die Philosophie im Lichte ihrer ursprünglichen Intention und ihres ursprünglichen Anspruchs zu gehen hat.

Insbesondere auch die in der modernen Philosophie dazu unternommenen konzeptuellen Anstrengungen haben an dieser nicht nur kontingenten, sondern durch diese Aufhebung der Philosophie zur Wissenschaft bestimmten philosophischen Entwicklung mitgearbeitet[14] und einen substantiellen Beitrag geliefert.

Die in der modernen Philosophie primär von Kant bewerkstelligte Transformation der Metaphysik hatte auf jeden Fall zur Folge, daß die noch mehr oder weniger an die (traditionelle) Metaphysik des Verstandes gebundene natürliche Denk- und Welteinstellung in gewissem Maße überwunden wurde; nämlich zum nicht (sinnlich) erfahrbaren, aber durchaus denkbaren absoluten Ganzen der Erfahrung können wir uns nicht auf eine mit den Objekten der Erfahrung vergleichbare, also analoge Weise verhalten, d.h., wir können das Ganze nicht in Betracht nehmen und uns darauf richten, als wäre es ein gegebenes und abgeschlossenes Objekt. So wurde mit Kant der (zwar jahrhundertealte, aber zeitweilig doch auch als problematisch befundene) Bann des gegenständlichen (verstandes-metaphysischen) Scheins nun endgültig gebrochen. Obwohl der wegen der Denkbarkeit des Ganzen irgendwie unentbehrliche Schein von Objektualität unaufhebbar ist, ist dennoch das zu fassende (objektive) Ganze nie etwas mehr oder anderes als das Resultat einer subjektiven und konstruktiven Denkleistung, d.h. nicht mehr oder weniger als die (subjektiv) begriffsmäßige Anstrengung, wodurch das (Ganze) von uns gefaßt wird und zustande kommt. Unsere theoretische Beziehung zur Welt besteht in nichts anderem, als sie als solche (also als Totalität) hervorzubringen (zu machen) und konstituieren zu müssen. In diesem Zusammenhang und genau hier erweist sich die Kraft und die Wahrheit der transzendental-kritischen Bewußtseinsbeziehung und Totalitätseinstellung: der Totalitätshorizont ist künftig wie auch immer eine Sache subjektiver Denkanstrengung!

Dennoch, so später Hegel, kann das Ganze, und d.h. die Selbstbildung des Ganzen, nie (ausschließlich) das Resultat seiner Subjektivität sein; hervorgebracht und bewerkstelligt (nur) durch ein (obwohl sehr besonderes und wesentliches) Moment von sich selbst, kann es ja unmöglich das Ganze sein. Anders gesagt: das Ganze kann ausschließlich als die Bildung seiner selbst (also des Ganzen) das Ganze sein, oder: es kann nur der Grund seiner selbst (causa sui) sein. Nur das Ganze kann das (werdende) Subjekt sein. Die transzendentale Denkeinstellung dagegen - welche die objektive Gegebenheit der natürlichen Denkeinstellung zu Recht negiert und die Gegenständlichkeit als Schein entlarvt - macht gleichzeitig und zu Unrecht das Subjektualmoment des Ganzen zum Absoluten, d.h. zum Subjekt. Zu Unrecht, denn auch die absolut gesetzte Subjektivität (im Denken) des Ganzen erweist sich nur als ein (transzendentaler) Schein; nur auf die Weise eines (übrigens unvermeidlichen) Scheins hat das Ganze (als Denken des Ganzen)       seinen Grund in der Subjektivität.

Indem wir diese Subjektivität verabsolutieren, indem wir das unleugbare Subjektualmoment (im Denken) des Ganzen als subjektive (Vor)Gegebenheit konstituieren, erweist sich unsere Denkeinstellung in gewissem Maße immer noch als die (unbeabsichtigte) Reproduktion einer natürlichen Welteinstellung. Trotz ihrer dazu kritischen Beziehung reflektiert diese transzendentale Denkhaltung die natürliche offenbar nicht kritisch genug: das (absolute) Gegeben-Sein des Objektualen wird hier gewissermaßen gegen das (absolute) Gegeben-Sein des Subjektualen eingetauscht. Das Subjektuale gehört zwar zum Wesen des (zu denkenden) Ganzen, ist aber damit nicht (schlichtweg) das Wesen (des Ganzen) selbst. Wenn nur die Substanz das (werdende) Subjekt ist (und umgekehrt), kann das Subjekt nie auf die Subjektualität bzw. Subjektivität (des Ganzen) zurückgeführt werden. Oder umgekehrt gedacht: die transzendentale Denkhaltung ist immer noch unkritisch, insofern sie sich zu radikal von der natürlichen Denkeinstellung distanziert. Statt nur das Gegeben-Sein des Objekts zu negieren, negiert sie eigentlich (auch) die dem Ganzen zustehende objektuale Natur selbst. Und auch aus diesen Gründen gibt sie die Verstandesmetaphysik in einer falschen Weise auf, nämlich indem sie auch das Objektive im Objektualen streicht, kann diese Denkhaltung die Objektivität nur im Subjektualen (in der Gegebenheit desselben), d.h. in der Subjektivität lokalisieren: Folglich bleibt aufgrund dieser in der transzendentalen Denkhaltung vorausgesetzten Gegebenheit des Subjektiven auch die (zu gewinnende) Identität von Denken und Sein abstrakt-formaler Natur, also gefangen in der Logik des Verstandes.

Nur die (konsequent) spekulative Denkeinstellung - das ist eine Haltung, die sich nicht (von vornherein) an ein Apriori, weder als Objektivität noch als Subjektivität angenommenes Gegeben-Sein (des Ganzen) bindet - vermag laut Hegel, das Absolute als das Absolute zu denken und zu begreifen. Nicht anders denkend als das, was das Denken zu denken gibt, geht die spekulative Denk- und Welteinstellung nämlich davon aus, daß das (zu verstehende) Ganze ausschließlich durch sich selbst gedacht wird und sich (nur) denkend als dieses Ganze konstituiert. Nicht anders als das, was das Denken zu denken gibt. Aber was gibt das Denken als erstes zu denken? Prima facie und unvermeidlich scheint (nur) das Denken selbst dafür in Betracht zu kommen, und es wäre also mit der Möglichkeit einer spekulativen Denkeinstellung die Notwendigkeit des Denkens vorausgesetzt. Die Frage ist allerdings, ob die (ausschließlich an das Denken selbst gebundene) Freiheit der spekulativen Gedankenbildung von diesem sich selbst als absolut notwendig voraussetzenden Denken hinreichend eingelöst worden ist. Positiv formuliert: setzt der spekulative Begriff und das Wissen des Absoluten nicht wenigstens die legitime und plausible Möglichkeit voraus, daß das Denken nur hypothetisch notwendig ist, bzw. daß das Wissen (des Ganzen) doch stets ein absolutes und relatives Wissen bleibt?

2. Die materialistische Umkehrung als Transformation der absoluten zur hypothetischen Notwendigkeit des Denkens

Weder die (reine) Natur noch das (reine) Denken an sich: Der soeben erläuterte objektuale (metaphysische) und subjektuale (transzendentale) Schein aller Philosophie, die Wissenschaft sein will, konstituiert erste Philosophie fortan als die Idee des sich entwickelnden und sich bildenden Absoluten (Ganzen). Dies ist die alle (logischen) Bestimmungen umfassende und auf den Begriff gebrachte oder absolute Idee. Die Idee des Absoluten gestaltet sich also ebenso als die objektiv gewordene Subjektivität wie als die subjektiv gewordene Objektivität des entwickelten Ganzen. Philosophie kann künftig nur noch beanspruchen, erste Philosophie zu sein, wenn sie weder ein (vor-)gegebenes Objekt, noch ein (vor-)gegebenes Subjekt zum Ausgangspunkt hat. Das Prinzip der Hegelschen spekulativen Philosophie ist allerdings nicht nur die absolute Idee, besser: die auf den Begriff gebrachte Idee des Absoluten, sondern (damit) auch das Absolute der Idee. Trotz der Materialität der Gedanken, sowohl in objektivem als auch in subjektivem Sinne, ist das werdende Ganze letztendlich ein (sich) denkendes Ganzes, das Sein der Dinge notwendigerweise gedacht.

Dadurch, daß der Junghegelianer Feuerbach sich nach einer schwierigen intellektuellen Entwicklung schließlich von dieser Umklammerung und Illusion zu befreien wußte, konnten Marx und Engels ihren neuen (Feuerbach nicht entnommenen) Ausgangspunkt entwickeln: »... nicht die Natur als solche allein, ist die wesentlichste und nächste Grundlage des menschlichen Denkens ...«[15], aber ebenfalls nicht »... allein (kursiv - J.L.) durch die Kraft des reinen Gedankens ...«[16] wird die Philosophie angetrieben und ernährt. Ausschließlich aber aufgrund der »... Veränderung der Natur durch den Menschen ...«[17], d.h. durch den »... gewaltige(n) und immer schneller voranstürmende(n) Fortschritt der Naturwissenschaft und der Industrie«[18], wird das theoretische Denken vorangetrieben und geleitet. Ohne übrigens die Existenz der Natur an sich zu leugnen und ohne die Kraft des rein theoretischen Denkens auch nur in irgendeiner Weise zu ignorieren, stellen dennoch keine der bei den als solche, laut Engels, die Grundlage der Philosophie dar. Die wirkliche Grundlage aller Philosophie bildet dagegen das, was in abstracto bewußtgegenständliche Tätigkeit und in concreto Praxis heißt. Indem Marx und Engels nämlich die bewußt-materielle Veränderung der (materiellen) Welt explizit zum Ausgangspunkt ihres eigenen Denkens machten, stellten sie sich auf einen materialistischen Standpunkt, von woraus sie sich zwar vom (absoluten) Idealismus des Hegeischen Systems distanzieren, aber gleichzeitig versuchen, dem gerecht zu werden, was durch dessen spekulative (historische) Dialektik an absolutem Begriff gewonnen ist. Dennoch beinhaltet ihre materialistische Umkehrung des spekulativen Systems mehr als nur eine andere, bzw. materialistische Lesart seiner historischen Dialektik. Ihre philosophische Intervention bezweckt, fordert und setzt durchaus die riskante Transformation (»Umstülpung«[19]) der Hegelschen (absoluten) idealistischen Dialektik voraus, also die Komposition und Ausarbeitung einer neuen (wenn auch) materialistischen. Philosophie. Die auf eine besondere materialistische Grundlage anzusetzende Dialektik ist somit erneut eine Perspektive für Philosophie als Wissenschaft, und das bedeutet hier insbesondere: indem sie am absoluten Idealismus selbst das idealistische Wesen ihrer (und damit aller) Philosophie entlarven, beabsichtigen auch Marx und Engels eine Philosophie hervorzubringen, die völlig gerechtfertigt den Titel erste Philosophie führen kann.

Die absolute Bedeutung des (relativen) Selbstunterschieds von Sein und Denken: Mit ihrer besonderen (materialistischen) Umkehrung der Hegelschen idealistischen Dialektik beabsichtigen Marx und Engels die Aufhebung der Philosophie überhaupt, d.h. indem sie das Absolute der Idee im nachhinein begründen (und das Absolute der Idealität als realen Schein offenlegen), zeigen sie das theoretische Denken, die Philosophie in ihrer prinzipiellen Aufhebbarkeit. Dadurch, daß sie nämlich die (im Idealismus angenommene) absolute Notwendigkeit des Denkens nochmals verständlich machen (also widerlegen, daß diese Annahme keiner Erklärung bedarf), behaupten sie ausdrücklich, daß dem Objektiv-Wirklichen des Denkens vor allem auch ein kontingenter Charakter zukommt (posse non esse). Zwar ist für das Denken (selbst) das Denken absolut notwenig und aktuell, aber damit ist die absolute Notwendigkeit des Denkens an sich nicht impliziert. Das Denken hat, ontologisch gesehen, daher den Status einer notwendigen (Seins-) Möglichkeit und, logisch betrachtet, somit ausschließlich einen hypothetisch notwendigen Charakter. Kann aber (und wenn ja, auf welche Art und Weise) der Erfahrung, die das Denken mit sich selbst macht, dieser hypothetisch notwendige Charakter des Denkens einleuchtend und glaubhaft gemacht werden?

Wenn wir annehmen dürfen, daß die Frage nach dem Seienden als Seiendem - also die Frage, was (weshalb, wodurch und wie) es ist - per definitionem (auch) die Frage nach der allgemeinsten(!) Seinsweise (des Seienden) beinhaltet, dann ist für eine solche Plausibilität auf jeden Fall erforderlich, daß dieses Sosein des Denkens, dieses hypothetisch notwendige Moment ein für das Denken aufrechtzuhaltender und erträglicher Gedanke ist. Das bedeutet: wenn wir (streng aristotelisch) nach dem Seienden der Welt fragen, fragen wir zwar zuerst danach, woher es kommt, daß es ist und es nicht nicht ist, aber gerade weil das, was ist, sich als etwas und nicht als alles erweist und ferner, weil dieses Etwas sogar ständig (etwas) anderes, also sowohl ist als auch nicht ist,[20] muß von dem, was ist, irgendwie gedacht werden können, daß es ist, und nicht zuerst (oder bereits), insofern (indem) es gedacht, geschweige denn denkend ist![21] Anders: von der (Denk-)Erfahrung ausgehend, daß es ist und daß es etwas ist, könnte vernünftigerweise gedacht werden, daß es ist, und nicht erst (oder bereits), weil es gedacht, beziehungsweise denkend ist. Mehr noch: gerade, weil es so (und nicht anders) ist - nämlich dasselbe und anders zu sein und nicht zu sein - ist es Sache der Vernunft, daß es ist, insofern es (bereits oder erst) ist. Kurz gesagt, nur insofern das Seiende materialiter, oder besser nicht-idealiter ist, können wir das (Seiende) als absolut notwendig denken.

Wenn also die Objektivität und der Zusammenhang von allem, was ist, in der Materialität gedacht werden darf und kann,[22] dann stellt sich heraus, wie sehr die Identität, der Selbstunterschied von Denken und Sein, obwohl immer nur ein relativer Gegensatz, in diesem umfassenden Zusammenhang eine absolute Bedeutung erhält. Der Unterschied zwischen Materie und Denken ist immer »relativ, nicht überschwenglich und übertrieben«[23], hier aber, bezüglich der Frage nach dem ursprünglichen und absoluten Primat, hat dieser immer relative Unterschied eine unbedingte Bedeutung, eben »absolute Notwendigkeit und absolute Wahrhaftigkeit«[24]. Also genau wegen der Materialität des (auch das Denken umfassenden) objektivuniversellen Zusammenhangs - wozu also auch die Idealität des Bewußtseins gehört! - geht es darum, den (relativen) Selbstunterschied von Sein und Denken unter dem (absoluten) Primat der Materie und dem (relativen) Abgeleitet-Seins des Denkens aufrechtzuerhalten. Philosophie, die erste Philosophie zu sein bezweckt, behält die Identität von Denken und Sein immer als ihre ursprüngliche Intuition. In ihrer Frage aber nach dem, woher es kommt, daß es ist, also nach dem Seienden als Seiendem, muß sie den Charakter dieser Identität, d.h. das Wie dieses Selbstunterschieds erst noch gewinnen und nachweisen. Nach dem Wie dieses Selbstunterschieds fragend, kann das Verhältnis zwischen Sein und Denken im nachhinein unter der (intuitiven) Ursprünglichkeit des materiellen Seins gedacht werden.

Damit erweist sich erst jetzt, daß die Frage nach dem Verhältnis zwischen Denken und Sein, so Engels, »die große Grundfrage aller«, das bedeutet »die höchste Frage der gesamten Philosophie«[25] ist. Erst mit dieser (spekulativ) materialistischen Alternative stellt sich heraus, daß die Frage nach dem Seiendem als Seiendem die Frage impliziert,. welche der beiden absolut und primär ist, Materie oder Denken, und erst hierdurch wird klar, daß es bestimmt zwei (aber auch nicht mehr als zwei) sich prinzipiell ausschließende mögliche Antworten gibt: entweder Materialismus oder Idealismus! Das Paradox der grundlegenden Fragestellung scheint darin zu liegen, daß erst eine bewußt materialistische Antwort (auf die Frage) uns klar macht, daß diese (grundlegende) Frage zur Diskussion steht. Oder: erst dank der zu denkenden Möglichkeit einer rein philosophisch materialistischen Antwort auf das (grundlegende) Problem stellt sich heraus, daß es irgendwie zwei (ausdrückliche) Antwortmöglichkeiten gibt, bzw. daß die Frage nach dem Wie der Identität von Denken und Sein der immer vorauszusetzenden Identität zugrundeliegt. Negativ formuliert: die idealistische Antwort auf die Frage nach dem Verhältnis zwischen Denken und Sein kann sich selbst nicht von vornherein als eine mögliche Antwort auf diese Frage betrachten, d.h., kann nicht von vornherein begreifen, daß eine denkbare und zu begreifende (materialistische) Alternative möglich ist. Idealistische Philosophie, besser, philosophischer Idealismus kann eine materialistische Antwort, d.h. das Absolute der Materie, letztendlich nicht anders erklären, als projiziere der sogenannte Materialismus die absolute Idealität nach außen (in ein materielles Außen). Für sie bleibt, mit anderen Worten, der materialistische Schein des Absoluten wesentlich irreal und somit aufhebbar bzw. vermeidbar. Für einen philosophisch entwickelten Materialismus dagegen ist das auf Schein zurückgeführte idealistische Wesen jeder Philosophie sehr real, das bedeutet objektiv-notwendig und (damit) unvermeidlich. Das (reine) Denken (des Denkens) kann ja niemals außerhalb seines idealistischen Scheins treten; für das Denken hat das Denken immer den Modus des absolut Notwendigen. Oder: dem Denken ist der Selbstunterschied von Sein und Denken unbedingt ein sich (als Sein) von sich selbst (als Denken) unterscheidendes Denken. Kurz gesagt, das theoretische Surplus des philosophischen Materialismus liegt offenbar in seinem Vermögen, den Idealismus als eine (für das Denken!) notwendig zu denkende Alternative begreifen zu können.

Das für die Möglichkeit des Denkens unbedingt Notwendig-Seiende kann daher im nachhinein (auch) als nicht-gedacht, bzw. als nicht-(selbst)denkend gedacht werden. Weil das Denken ausschließlich für das Denken absolut notwendig ist, kann es in seiner Objektivität auch und sogar bevorzugt als hypothetisch notwendig, d.h. (auch!) als kontingent gedacht werden. Es kann jedenfalls nicht nachgewiesen werden, daß die absolute Notwendigkeit des Denkens keines Beweises bedarf (und daher eine apodiktische Wahrheit sei). Das notwendig gedachte Seiende impliziert zwar die (reale und notwendige) Möglichkeit, aber doch nicht die (absolute) Notwendigkeit des Denkens.

3. Materialistische Dialektik als Aufhebung der Philosophie überhaupt

Ihrer Form nach ist die materialistische Dialektik keine Philosophie: Aufgrund der durch diese materialistische Transformation des Hegelschen spekulativ-dialektischen Systems nachweisbar gemachten grundlegenden (Selbst)Relativierung des (rein) Theoretischen folgert Engels (zu Recht), daß es nun »keine Philosophie mehr« gibt, »sondern eine einfache Weltanschauung«, und daß die Philosophie »hier also ›aufgehoben‹‹‹ ist, »das heißt ... überwunden ihrer Form ... nach.«[26] Ihrer Form nach ist diese materialistische Dialektik also keine Philosophie mehr, d.h.: sie besitzt, um mit Hegel zu sprechen, nicht mehr den Namen »Liebe zum Wissen«[27], und ist »weiter nichts als die Wissenschaft von den allgemeinen Bewegungs- und Entwicklungsgesetzen der Natur, der Menschengesellschaft und des Denkens«[28]. Aus diesem Grund ist es konstitutiv für die (definitive) Offenheit dieses Systementwurfs der Wissenschaft des als »Materie und ihre inhärente Bewegung«[29] gedachten Absoluten, daß es einerseits irgendwie die philosophische Wissenschaft (Dialektik) der Gesellschaft und die der Natur impliziert, besser, voraussetzt. »Die allgemeinen Resultate der Untersuchung der Welt kommen am Ende dieser· Untersuchung heraus, sind also nicht Prinzipien, Ausgangspunkte, sondern Resultate, Abschlüsse.«[30] Weil die Eigenheit dieses Entwurfs jedoch nur die (dialektische) Konstruktion der Welt als (zusammenhängendes) Ganzes betrifft,[31] stellt andererseits das System als solches nur die theoretisch-kategoriale Grundlage einer noch näher zu entwickelnden Dialektik (oder philosophischen Wissenschaft) der Natur und der Gesellschaft dar.

Die hierdurch definitiv gewordene Systemoffenheit hat daher zur Folge, daß dieses Wissen des Absoluten nicht (ohne weiteres) als das absolute Wissen überhaupt verstanden werden kann. Wo das Absolute als das materiell Absolute gedacht wird, kann das Gewußte nie restlos mit dem Wissen selbst zusammenfallen. Aus diesem Grund muß und kann innerhalb der materialistischen Dialektik - die als ein begreifendes Denken selbst zur »sog. subjektiven Dialektik« gehört und insbesondere (auch und vorrangig) die Objektivität gerade dieser Dialektik reflektierend - zwischen dieser Dialektik des Denkens (als »nur Reflex der in der Natur sich überall geltend machenden Bewegung in Gegensätzen«) und der »sog. objektiven Dialektik« unterschieden werden, also (auch) zwischen sich selbst (als Idealität) und der »in der ganzen Natur« herrschenden Dialektik.[32] Obwohl Engels hier aus gutem Grund das dialektische Denken sogenannt subjektiv und die materielle Dialektik sogenannt objektiv nennt, ist dieser in der philosophischen Wissenschaft zu denkende Unterschied der logisch notwendige Ausdruck einer (objektiv-materiellen) Unterschiedenheit (die Idealität als unterschiedenes und gegenteiliges Moment der Materialität selbst) und ist daher der Objektivität des (dialektischen) Denkens inhärent.

Wenn das Wissen des Absoluten also genau betrachtet nicht als das absolute Wissen überhaupt gelten kann, ist, laut Engels, »Systematik nach Hegel«, - das bedeutet: im Sinne eines absoluten, vollendeten Systems - »unmöglich«[33]. Es ist uns ja klar geworden, so fährt er fort, daß die Welt zwar »ein einheitliches System, d.h. ein zusammenhängendes Ganzes vorstellt«, aber es ist ebenfalls evident, daß die (absolute) Erkenntnis dieses Systems die nie erreichbare Erkenntnis »der ganzen Natur und Geschichte«[34] voraussetzt. Das Wissen dieses (in seiner Materialität zusammenhängenden) Systems ist daher ein Wissen, das (von) sich selbst weiß, sowohl notwendiger- als zufälligerweise teil zu haben an dem, was gewußt (besser dessen, wovon gewußt) wird; ein Wissen also, das (von) sich selbst weiß, nicht (unbedingt) notwendig zu sein für dasjenige, wovon es weiß. Das Wissen des als sich bewegende Materie gedachten - Absoluten ist ein Wissen und ein Nicht- Wissen des Unendlichen,[35] und aus diesem Grund also ein absolutes und nicht-absolutes Wissen,[36] Erkenntnis des Unendlichen (und insofern wesentlich absolut), aber in einer »unendlichen« asymptotischen Progression[37] (und insofern nicht absolut).

Übrigens beinhaltet die materialistische Umkehrung der (spekulativ-idealistischen) Dialektik gewiß nicht, daß diese (philosophische) Wissenschaft eine (einzelne) Wissenschaft ist, die einfach neben und gleichsam auf der gleichen Ebene wie alle anderen besonderen (empirischen) Wissenschaften funktionieren kann: das (materielle) Absolute, d.h. der objektiv-materielle Zusammenhang von Natur und Gesellschaft ist ihr ja auf diese (also empirische!) Weise nicht gegeben.[38] M.a.W.: die dieser philosophischen Wissenschaft zugrundeliegende materialistische Umkehrung impliziert keineswegs eine unvermeidliche Rückkehr zur (vor-kantianischen) Metaphysik des Verstandes. In ihrer Aufhebung der Philosophie überhaupt ist diese Wissenschaft schlechthin - und damit zum Teil die kritische Destruierung Kants, aber vor allem Hegels mit einbeziehend - »die Lehre vom Denken und seinen Gesetzen«, d.h. »formelle Logik und Dialektik«.[39] Oder wie Engels lapidar notiert: »die reine Lehre vom Denken«.[40]

Ihrem Inhalt nach ist die materialistische Dialektik ›erste Philosophie‹: Ihrer Form nach, also der Weise nach, wie (ihr Objekt) gedacht wird, ist die materialistische Dialektik also reine Lehre vom Denken bzw. Logik. Als Aufhebung der Philosophie gestaltet sie ein Wissen, das (mit Hegel) die Illusion sowohl des objektualen als auch subjektualen Gegeben-Seins ihres Objekts hinter sich läßt: ihre Logik ist weder die des gegenständlichen Verstandes noch die der transzendentalen Vemunfi.[41] In ihrer Aufhebung der Philosophie überhaupt, somit als materialistische(!) Aufhebung der Philosophie, entlarvt sie allerdings auch die Illusion des Idealismus, womit ausgesagt wird, auf eine andere (und vielleicht adäquatere) Weise will sie den vollständigen Inhalt des (klassisch) metaphysischen Erbes festhalten und miteinbeziehen. Denn die Aufhebung der Philosophie bedeutet zugleich, daß sie »ihrem wirklichen Inhalt nach«[42] vollständig miteinbezogen wird.

Die materialistische Umkehrung und Transformation der idealistischen Dialektik beabsichtigt und fordert auch nicht die Annullierung, sondern vielmehr den Begriff einer spekulativen Logik und die Transparenz ihres spekulativen Status. Die Totalität, die sie (denkend) konstruiert, wird - da sie das (auch extensiv) widerspiegelnde Vermögen als konstitutiv für die Materialität (und für den Zusammenhang) aller Seienden voraussetzt - als die intensiv-umfassende Widerspiegelung der unendlichen Weh reflektiert.[43] Die so materialistisch gewendete, die nach außen gekehrte spekulative Dialektik hat zur Folge, daß sie ihren spekulativen Status eher verstärkt und sich nicht als das Denken des reinen Denkens, sondern vorrangig als das reine Denken des (objektiven) Denkens erweist. Weil dieses (reine) Denken, so Engels, also immer »die Welt (kursiv - J.L.) und die Denkgesetze« zu seinem (übrigens einzigen!) Inhalt hat,[44] impliziert diese Aufhebung, daß die materialistische Dialektik (diese »reine Lehre vom Denken«) sich als »Wissenschaft des (kursiv; J.L.) Gesamtzusammenhangs«[45] konstituiert: »Die Tatsache, daß unser subjektives Denken und die objektive Welt denselben Gesetzen unterworfen sind und daher auch beide in ihren Resultaten sich schließlich nicht widersprechen können, sondern übereinstimmen müssen, beherrscht absolut unser gesamtes theoretisches Denken. Sie ist seine unbewußte und unbedingte Voraussetzung.«[46] Durch diese spekulative (materialistische!) Dialektik wird das metaphysische Erbe deshalb in einer solchen Weise miteinbezogen, daß sie wie keine andere (künftig) als erste Philosophie auftreten will, unter Umständen auftreten kann.[47] Ob ihr dieser Titel auch rechtmäßig zusteht, hängt übrigens von der Frage ab, ob nachgewiesen werden kann, daß die Prinzipien dieses Wissens ausreichende Evidenz besitzen, d.h. ob in Bezug auf dieses erklärende Wissen hinreichend glaubhaft gemacht werden kann, daß es keiner näheren Erklärung bedarf und zunächst als letzte Erklärung gelten darf. (Da eine nähere Erklärung im Prinzip nie ausgeschlossen werden kann - was beinhaltet, daß auch dieses Wissen als prinzipielles Wissen widerlegbar ist[48] - kann auch diese Philosophie [von] sich nicht sicher behaupten, sie sei in Wahrheit die erste, definitive Philosophie! Kein einziges Wissen des Absoluten - auch nicht das absolute und nicht-absolute Wissen - kann sich selbst gegen mögliche Widerlegung absichern und immunisieren).

In ihrem Anspruch auf erste Philosophie - das bedeutet: als Wissenschaft vom Seienden als Seienden, d.h. fragend danach, was (warum, wodurch und wie) das Seiende seinem Wesen nach ist - wird durch die materialistische Dialektik als erste und absolute die Materie und ihre inhärente Bewegung (also nicht in derselben!) gedacht. Obwohl die Bewegung die einzige »Daseinsweise der Materie, also mehr als ihre bloße Eigenschaft«[49] ist, geht die als absolut zu denkende Materie nicht in ihrer Bewegung auf. Die Materie und ihre inhärente Bewegung - denn »es gibt nicht und kann nie Materie ohne Bewegung gegeben haben«[50] - gibt sich in dieser Wissenschaft als causa finalis und causa efficiens. Der im Primat der (universalen) Wechselwirkung bereits von Hegel aufgehobene Gegensatz zwischen Zweck-Ursache und bewirkender Ursache wird nun als unabhängig vom (d.h. von jeglichem) Denken gedacht. Obgleich »die Materie als solche« und »die Bewegung als solche ... noch niemand gesehn oder sonst erfahren« hat und diese Worte »nichts als Abkürzungen« sind, »in die wir viele verschiedne sinnlich wahrnehmbare Dinge zusammenfassen nach ihren gemeinsamen Eigenschaften«,[51] - ja, »die Materie als solche ist eine reine Gedankenschöpfung und Abstraktion«![52] - wird trotzdem von Engels aufrechterhalten, daß »diese Materie keine Abstraktion«[53] sei. Einerseits also ist die Materie als solche eine reine Abstraktion, andererseits aber ist sie keineswegs eine Abstraktion! »Die Materie« ist in keiner Hinsicht (sinnlich) erfahrbar und (lediglich) eine Konstruktion des reinen Denkens, die Zusammenfassung dessen, was allem, das ist, gemeinsam ist. Aber genau als Konstruktion des reinen Denkens, darauf zielend, was allem, das ist, gemeinsam ist, bildet die Materie das Realste. Als erster Gedanke des (reinen) Denkens ist sie ja ein notwendiger und demnach objektiver Gedanke. Die ursprüngliche Intuition des Denkens - aus der die Identität von Denken und Sein irgendwie auf eine bestimmte Art gedacht wird - wird hier als ›Materie‹ verbalisiert und damit ist gemeint: die Identität von Denken und Sein muß schließlich als unabhängig vom Denken gedacht werden.[54] Wie kann jedoch plausibel gemacht werden, daß ausgerechnet der erste Gedanke (den das reine Denken in der Erfahrung mit sich selbst macht), als nicht von vornherein gedachtes Seiendes gedacht werden muß? Kurz gesagt: Wie kann sich das als nicht notwendig gedachte Seiende als ein notwendiger und erster (also als absolut notwendig seiender) Gedanke erweisen?

Die Bedingung der Möglichkeit für das Denken im Allgemeinen ist immer, wie unter anderem Kant nachgewiesen hat,[55] daß etwas (da) ist, also etwas, das als Seiendes (insofern es ist) unbedingt auch denkbar ist. Notwendigerweise etwas Denkbares denken, heißt allerdings auch, das denkbare Etwas ist notwendigerweise (da). Insofern (es) gedacht wird (insofern von Denken die Rede ist), ist dieses (denkbare) notwendige ›Etwas‹ selbstverständlich ein notwendiger und sogar der erst-notwendige Gedanke. Für diesen ersten und notwendigen Gedanken, den das Denken (in seiner Erfahrung) mit sich selbst gewinnt, gelten nun zwei (Denk-)Möglichkeiten: das (immer denkbare) notwendige Etwas wird, wenn (es) gedacht wird, entweder als notwendig, oder als nicht notwendig gedacht. Das (denkbare) absolut notwendige Etwas wird ja nur dann notwendigerweise gedacht, insofern (es) gedacht wird, aber kann auch gedacht werden als nicht unbedingt gedacht. Weil jedoch die erste Denkmöglichkeit mehr voraussetzt - denn im Gegensatz zur zweiten Möglichkeit, die nur voraussetzt, daß das Denken möglich ist, geht diese erste von der Annahme aus, daß das Denken unmöglich nicht, demnach (absolut) notwendig ist - liegt die zweite Denkmöglichkeit mehr auf der Hand und hat eine größere Selbstverständlichkeit. Daher ist der erste notwendige Gedanke, den das reine Denken im Denken antrifft, ›Materie‹, d.h. das absolut notwendige Seiende zwar als ein zu denken könnendes Seiendes, aber nicht als notwendig gedachtes Seiendes. Insofern gedacht wird, wird notwendig und erstens ›Materie‹ gedacht, und demnach ist die Materie (als erste Denkform) die allgemeinste Seinsform, und zwar die Form (allen) Seins im Allgemeinen, d.h. die Form, in der das Seiende ist, insofern es ist und nicht insofern es erst oder bereits gedacht wird! Anders gesagt, die Notwendigkeit und somit Objektivität des Begriffs ›Materie‹ affirmiert das Seiende als die unbedingte und objektiv (vom Denken unabhängige) notwendige Realität! Demnach ist das notwendige Gedacht-Sein der Materie »Materie« nicht absoluter, sondern hypothetischer Art, nämlich lediglich die Konsequenz dessen, daß »Materie« gedacht wird, d.h. daß gedacht werden kann.

Die (philosophische) Wissenschaft der Dialektik, die zum ersten Gedanken ›Materie‹ hat, die also (das Verhältnis von) Denken und Sein als vom Denken unabhängig denkt, profiliert sich dadurch um so nachdrücklicher als Wissenschaft des Gesamtzusammenhangs. Als reine Lehre vom Denken (d.h.: als spekulative Dialektik) ist sie daher auch zu dem verpflichtet, was sie prätendiert und verspricht, nämlich: erneut und nochmals die Philosophie zur ersten Philosophie zu erheben.

Dialektik, die in ihrer Beschaffenheit als absolutes und nicht-absolutes Wissen den Selbstunterschied von Sein und Denken (als) unabhängig von jedem Denken denkt, also die Materie zur (ersten) spekulativen Idee hat, konstituiert sich ab ovo als ein spekulativer Materialismus. Dieser spekulative Materialismus etabliert sich als erste und zugleich spekulative Philosophie: ein philosophischer Materialismus. Paradoxalerweise können wir nur dank des spekulativen Denkens - das bedeutet: wegen der unbefangenen Freiheit des Denkens -, also indem wir rein theoretisch denken, Materialist, jedenfalls konsequent Materialist sein. Konsequent Materialist zu' sein, kann nur durch reines Denken erreicht werden. Negativ formuliert: wo die Erfahrung des Denkens nicht als erstes (also die Identität von Denken und Sein denkende) Materie gewinnt, kann von (philosophischem) Materialismus im eigentlichen Sinne nicht gesprochen werden. Wenn also die Identität von Denken und Sein primär in der Arbeit oder der Praxis, in der ökonomischen (materiellen) Entwicklung, in ihren psychischen, biologischen oder physikochemischen Organisationsformen lokalisiert wird, wird dieser Selbstunterschied nicht als nicht von vornherein gedacht seiend gedacht. Konsequenterweise kann von einem ausschließlich sogenannten praktischen oder historischen, psychologischen, biologischen oder physikalischen Materialismus niemals behauptet werden, daß er (nur) die hypothetische Notwendigkeit des Denkens voraussetzt. Kurz gesagt, ausschließlich kraft der reinen Idealität (des Denkens)[56] kann das Denken nur als (reale) Möglichkeit (also auch erst dann in seiner Materialität!) durchgehalten und getragen werden. Die sich (ewig) bewegende Materie ist die für das Denken (meist) ursprüngliche und notwendige Denkform.

Die Aufhebung der Philosophie überhaupt und das Dialektisch-Werden der Wissenschaften: Mit dem (von ihr selbst) gestellten Anspruch, Wissenschaft des Gesamtzusammenhangs, also Philosophie als strenge Wissenschaft zu sein, tritt die Philosophie als Philosophie auf entscheidende Weise zurück. Denn in ihrer Aufhebung der Philosophie überhaupt braucht sie nicht länger dasjenige zu beanspruchen, was ihr bis jetzt notwendig schien, das Appellieren an den Teil der Wirklichkeit und das Besetzen desselben, was durch das (theoretisch-)empirische Wissen (noch) nicht erreicht werden konnte. Indem sie ihr Objekt so anvisiert, vorerst so anvisieren muß - nämlich als die zwar nicht erfahrbare, aber dennoch als von außerhalb gegebene Wirklichkeit (d.h. vielmehr als separater Teil derselben) -, brachte die Philosophie ein (stellvertretendes) Wissen hervor, mit dem sie die Entwicklung und nähere Differenzierung des (theoretisch- )empirischen Wissens sowohl ermöglicht und gefördert, als auch verhindert, zumindest versperrt hat. Die als spekulative (materialistische) Dialektik sich von der Philosophie befreiende philosophische Wissenschaft fordert und setzt aus diesen Gründen denn auch voraus, daß (auch) die theoretisch-empirischen Wissenschaften sich von der Philosophie befreien, sich wenigstens aller schlechten Philosophie(n) entledigen können. Das Aufnehmen der (materialistischen) Dialektik nun bildet die entscheidende Bedingung, die diese Befreiung von (schlechter) Philosophie (den Abfällen der alten Metaphysik) ermöglichen muß: »Erst wenn Natur- und Geschichtswissenschaft die Dialektik in sich aufgenommen, wird all der philosophische Kram überflüssig ...«[57] Die theoretische Verarbeitung der Dialektik innerhalb der (theoretisch-)empirischen Wissenschaften bedeutet zwar, daß diese selbst dialektisch werden müssen und (dadurch) zu einer bestimmten Einheit gebracht· werden können[58] - was bedeutet, daß ihre Objekte in ihrer Entwicklung[59] und (somit) in ihrem wechselseitigen Zusammenhang gefaßt werden können[60] -, aber diese Verarbeitung hat keineswegs zur Folge, daß diese Wissenschaften dadurch auch philosophisch werden müßten. Im Gegenteil, weil sie sich von jeglicher Philosophie befreien, die selbst nicht Wissenschaft genannt werden muß (und das bedeutet auch, nicht mehr von modischem philosophischem Dilettantismus beherrscht zu werden), ist gerade eine ungehinderte und unbefangene Differenzierung des (theoretisch-)empirischen Wissens geboten. Der nicht an irgendwelche (unwissenschaftliche) Philosophie gebundene theoretische Fortschritt wird gefördert und eine nicht durch Voreingenommenheit gefesselte, sondern offene Konfrontation mit der Empirie wird vielmehr befürwortet, indem die Geschichte und die Errungenschaften des theoretischen Denkens auf die richtige Art und Weise verarbeitet und angeeignet werden (und gewiß nicht, indem die Philosophie im Allgemeinen geleugnet oder beschimpft wird)[61]. Der Entwurf einer spekulativ-materialistischen Dialektik bezweckt daher auch nicht, der Fachidiotie einen Damm entgegenzusetzen, sondern nötigt vielmehr zu einer (permanenten) Verbesonderung (Erweiterung und Vertiefung) der empirischen Wissenschaften. Daher macht die sich als Wissenschaft des Gesamtzusammenhangs konstituierende materialistische Dialektik die empirischen Fachwissenschaften keineswegs überflüssig.

Dennoch gilt das Umgekehrte ebensowenig; wegen der Aufnahme der Dialektik in die (theoretisch-)empirischen Wissenschaften ist es auch nicht so, daß damit die Philosophie (im Allgemeinen) überflüssig geworden ist, als sei die Philosophie in die Fachwissenschaften aufgegangen und verschwunden. Was mit der zur strengen Wissenschaft erhobenen Dialektik verschwindet, ist nicht die (erste) Philosophie als ·solche, sondern ihr gegenüber den besonderen Wissenschaften konkurrierendes Verhältnis. Anders formuliert: die (materialistische) Auf11ebung der Philosophie hat zur Folge, daß Philosophie und Wissenschaften sich (dauerhaft!) zueinander verhalten, und zwar als Verhältnis des (am meisten) Allgemeinen zum Besonderen, aber gleichzeitig aufhören (können), ein entgegengesetztes und sich bekämpfendes Verhältnis zu bilden. Zumindest unter der Voraussetzung, daß (theoretisch-)empirische Wissenschaften aufhören, philosophisch zu sein (und dazu übergehen, dialektisch zu werden!), könnte die spekulativ materialistische Dialektik vorerst als (strenge) Wissenschaft auftreten.

Zum Schluß: Materialistische Dialektik, weder zu viel, noch zu wenig an Philosophie: Genau betrachtet räumt unsere theoretische Beziehung zur Welt dem beweisenden Wissen dessen, was das Seiende als Seiendes ist, Priorität ein. Diese grundlegende Orientierung meint also nicht so sehr die Philosophie im Allgemeinen, sondern betrifft vielmehr das theoretische Bestreben, mittels einer gewissen Negation der Philosophie (im Allgemeinen) zu einer (näher) zu bestimmenden ersten Philosophie zu gelangen. Bezüglich dieser theoretischen Neigung tendiert die Philosophie von Haus aus also immer zur (Selbst-)Aufhebung, d.h.: indem sie begreift und beweist, intendiert sie, im nachhinein das zu werden, was sie zwar sein will und muß, aber (stets) nicht ist. Indem sie negiert, was sie ist - nämlich (noch) nicht das Absolute (vom Absoluten) zu wissen, oder (noch) nicht das Absolute als das Absolute zu denken -, versucht sie das zu werden, was sie sein müßte, und zwar keine Philosophie, sondern Wissenschaft!

Die logisch-historische (vor allem auch in der modernen Welt ausdrücklich zum Bewußtsein gekommene) Aufgabe, die Philosophie als Wissenschaft zu konstituieren, betrifft daher auch nicht die Negation der Philosophie, insofern diese (bereits) ein Wissen ist, d.h., insofern ihre (philosophischen) Formen Objektivität haben, sondern ausschließlich insofern sie das, was wirklich ist, nicht wahrheitsgemäß denkt. Mit der Forderung der Philosophie als Wissenschaft kann ja nicht etwas anderes intendiert und beansprucht werden als die Gewinnung dessen, was der Wahrheit gemäß und in ihr wirklich ist, und d.h. die spekulativ-konstruktive Komposition dessen, was als ihre Substanz betrachtet werden darf. Die Substanz der Philosophie besteht letztendlich im Beweis und im Begriff dessen, was zu Recht substantielles Verhältnis (und/oder Subjekt) genannt werden darf.

Wie Kant die gegenständliche und Hegel die transzendentale Natur der Philosophie bereits früher auf ihren eigenen (realen) Schein zurückgeführt haben, so kann auf analoge Weise auch Engels’ Entlarvung des idealistischen Charakters der Philosophie weder als eine oder keine noch als ein Mehr oder Minder an Philosophie aufgefaßt werden. Auch die materialistische Aufhebung der Philosophie, also die Aufhebung der Philosophie überhaupt, weist nicht auf einen Verlust oder Gewinn an Philosophie im Allgemeinen hin. Mit dem Spezifischen ihrer Aufhebung - mittels ihrer materialistischen Umkehrung und Transformation des spekulativ-dialektischen Systems von Hegel - wollte Engels vielmehr einen bestimmten Beitrag zur (notwendigen) Erhebung der Philosophie zur (strengen) Wissenschaft liefern. Die Eigenheit der spekulativ materialistischen Dialektik - auch sie intendiert nur, das Absolute als das Absolute zu denken - besteht darin, das Absolute (vom Absoluten) zu wissen als ein absolutes und nicht-absolutes Wissen, oder die Totalität derart konstruieren zu können und müssen (also derart beweisen zu können), daß der Begriff und der Beweis als solche sich für das Begriffene als nicht notwendig herausstellen, also derart zu denken (denken zu können), daß sich vom (absolut) Notwendigen erweist, daß sowohl das notwendig als auch nicht-notwendig gedachte Seiende gedacht ist.

Die Ambiguität eines absoluten und nicht-absoluten Wissens - das bedeutet Wissenschaft von der in ihrer (reflexiven) Materialität Zusammenhang besitzenden Totalität! - widerspiegelt sich als eine der materialistischen Dialektik inhärente paradoxale Struktur. Ihrer Form nach hat sie nichts mehr von dem, was typisch für die Philosophie heißen konnte - d.h. ein suchendes und forschendes, (noch) nicht-wissendes Wissen zu sein und etabliert sie sich als ein (rein) positives Wissen. Dagegen ist sie ihrem Inhalt nach vollkommen philosophisch, d.h. eine aufgrund der Anstrengung des reinen Begriffs gewonnene· Idee der (primär materiellen) Totalität, oder die spekulative Konstruktion dessen, wie der Selbstunterschied von Sein und Denken in ihrer wirklichen Entwicklung begriffen werden kann.

Die von Engels bezweckte materialistische Aufhebung der Philosophie fordert und setzt jedoch das Dialektisch- Werden der (theoretisch-)empirischen Wissenschaften voraus, und das bedeutet, daß sie aufhören, philosophisch und anti-philosophisch zu sein. Weil sie ihre Objekte in ihrer (gegensätzlichen) materiellen Veränderung und Entwicklung studieren - und das beinhaltet vor allem, von unwahren philosophischen Voraussetzungen befreit und nicht mehr gehindert durch philosophische Gespinste zu sein ist eine unbefangene Erweiterung und Vertiefung des sich differenzierenden empirischen Wissens möglich. Eine von jeglichem Naturalismus, Transzendentalismus und Idealismus befreite erste Philosophie fordert und fördert ja letztendlich ein von aller unwissenschaftlichen Philosophie erlöstes und sich differenzierendes (theoretisch-) empirisches Wissen.

(Übersetzt aus dem Niederländischen von Inge van der Aart)


[1] H. Lefebvre, Probleme des Marxismus heute, Frankfurt am Main 1965, S. 25.

[2] A. Schmidt, Zum Verhältnis von Geschichte und Natur im dialektischen Materialismus, in: Existentialismus und Marxismus, Frankfurt am Main 1965, S. 107.

[3] Siehe auch den frühen Lukacs, in: Geschichte und Klassenbewußtsein, Darmstadt 1968, S. 58 ff. sowie J.-P. Sartre, in: Existentialismus und Marxismus, a.a.O., S. 18 f., 22 f.

[4] J. Monod, Zufall und Notwendigkeit, München 1973, S. 43 ff.

[5] A. Schmidt, Der Begriff der Natur in der Lehre von Marx, Frankfurt am Main 1962, S. 44: »Keineswegs aber haben sie (die dialektischen Gesetze - J.L.) etwas mit der naturwissenschaftlichen Methode selber zu tun, die ja formallogisch und undialektisch ... ist.«

[6] W. Röd, Dialektische Philosophie der Neuzeit, München 1974, 2. Band, S. 47.

[7] Siehe ebd., S. 40 f.

[8] I. Fetscher, Von der Philosophie des Proletariats zur proletarischen Weltanschauung, in: Marxismusstudien, 2. Folge, Tübingen 1957, S. 50.

[9] Hiermit sei keineswegs suggeriert, daß diese Rekonstruktion und Interpretation völlig übereinstimmt mit der Art und Weise, wie ›Dialektik als Wissenschaft‹ von Engels selbst gemeint und gedacht wurde. Ebensowenig gehe ich von der Annahme aus, daß diese Betrachtungsweise mit der gängigeren Interpretation von materialistischer Dialektik korrespondiert. Was letzteres angeht: weil des öfteren behauptet wird, daß das (klassisch) metaphysische Erbe der Philosophie in Engels' Dialektik schlichtweg rückgängig gemacht wird, gilt meine Interpretation als ungemein abweichend.

[10] G.W.F. Hegel, Werke, in 20 Bde. (HW), hg. v. E. Moldenhauer u. K.M. Michel, Frankfurt am Main 1970, Band 3, S. 14.

[11] Siehe ebd.

[12] Aristoteles, Metaphysica I, 2, 982a, S. 4 f.

[13] Aristoteles, Metaphysica IV, 1, 1003a, S. 21 f.

[14] HW 3, S. 14: »Daran mitzuarbeiten ..., ist es, was ich mir vorgesetzt«.

[15] MEW 20, S. 498.

[16] MEW 21, S. 277.

[17] MEW 20, S. 498.

[18] MEW 21, S. 277.

[19] F. Engels, MEW 20, S. 335: »Man muß sie umstülpen, um den rationellen Kern in der mystischen Hülle zu entdecken.«

[20] Ebd., S. 499: »Wechselwirkung ist das erste, was uns entgegentritt, wenn wir die sich bewegende Materie im ganzen und großen, vom Standpunkt der heutigen Naturwissenschaft betrachten.«

[21] L. Feuerbach, Vorläufige Thesen zur Reformation der Philosophie, Frankfurt am Main 1975, S. 239: »Sein ist aus sich und durch sich - Sein wird nur durch Sein gegeben - Sein hat seinen Grund in sich, weil nur Sein ... Notwendigkeit ... Alles in Allem ist.«

[22] MEW 20, S. 41: »Die Einheit der Welt besteht nicht in ihrem Sein, obwohl ihr Sein eine Voraussetzung ihrer Einheit ist, da sie doch zuerst sein muß, ehe sie eins sein kann ... Die wirkliche Einheit der Welt besteht in ihrer Materialität ...«

[23] Siehe W.I. Lenin, Materialismus und Empiriokritizismus, LW 14, S. 243.

[24] Ebd., S. 244.

[25] MEW 21, S. 274 f.

[26] MEW Band 20, S. 129.

[27] HW 3, S. 14.

[28] MEW 20, S. 131 ff.

[29] Ebd., S. 509.

[30] Engels, ebd., S. 574. Ebd., S. 530: »Es ist hierin eingeschlossen, daß ihre Gesetze Gültigkeit haben müssen für die Bewegung ebensosehr in der Natur und der Menschengeschichte wie für die Bewegung des Denkens.«

[31] Engels, ebd., S. 530: »In der vorstehenden Schrift (Anti-Dühring - J.L.) ist die Dialektik als die Wissenschaft von den allgemeinsten Gesetzen aller Bewegung gefaßt worden.«

[32] Ebd., S. 481.

[33] Ebd., S. 574.

[34] Ebd.

[35] Ebd., S. 502: »Das Unendliche ist ebenso erkennbar wie unerkennbar, und das ist alles, was wir brauchen.«

[36] Ebd., S. 501: »Alle wahre Naturerkenntnis ist Erkenntnis von Ewigem, Unendlichem und daher wesentlich absolut. Aber diese absolute Erkenntnis hat einen bedeutenden Haken.«

[37] Ebd., S. 502.

[38] Ebd., S. 24: »Sobald ... ist jede besondre Wissenschaft vom Gesamtzusammenhang überflüssig.«

[39] Ebd.

[40] Ebd., S. 480.

[41] Ebd., S. 529; »... trotz der idealistisch auf den Kopf gestellten Form ihres Resultats ..., ist unleugbar, daß diese Philosophie die Analogie der Denkprozesse mit den Natur- und Geschichtsprozessen und umgekehrt ... nachgewiesen hat.«

[42] Ebd., S. 129.

[43] Siehe dazu unter anderem: H.H. Holz, Dialektik und Widerspiegelung, Köln 1983, vor allem Kapitel 11, S. 50-78; sowie H.H. Holz, Gegensatz und Reflexion. Zum Grundmuster einer materialistischen Dialektik, in: DIALEKTIK, Heft 1/1992, S. 11-34.

[44] MEW 20, S. 574.

[45] Ebd., S. 307. Mit der unterschiedlichen Verwendung der zwei Genitivformen - genitivus objectivus versus subjectivus - verdeutlicht Engels den Unterschied zwischen der schon früher von Kant und Hegel (übrigens auf unterschiedliche Weise) kritisch destruierten verstandes-metaphysischen und seiner eigenen (hauptsächlich Hegel entnommenen, aber materialistisch umgeformten) dialektisch-konstruktiven Betrachtungsweise. Siehe dazu insbesondere: H.H. Holz, Natur und Gehalt spekulativer Sätze, Köln 1980, S. 31, Anm. 55.

[46] MEW 20, S. 529.

[47] Eine genauere Ausarbeitung der spekulativ-materialistischen Transformation der (idealistisch-) spekulativen Philosophie findet man u.a. in Jos Lensink, Het waagstuk van de omvattende rede. Het vraagstuk van de metafysica in een ontheiligde wereld, Kok Agora, Kampen 1994, insbesondere S. 387-445.

[48] Damit meine ich vor allem: nicht die (wahrhaften) Voraussetzungen dieses Wissens kommen für eine Widerlegung in Betracht, sondern die (in der Konzeption beschlossene) Annahme, daß diese Voraussetzungen die ersten sind, das heißt, die Prinzipien bilden. Hegel schreibt dazu: »Was widerlegt worden, ist nicht das Prinzip dieser Philosophie, sondern nur dies, das dies Prinzip das Letzte, die absolute Bestimmung sei.« (HW 18, S. 56).

[49] MEW 20, S. 575.

[50] Ebd.

[51] Ebd.

[52] Ebd., S. 519.

[53] Ebd., S. 509.

[54] Die (zuerst) zu denkende(!) Selbst-Unterscheidung von Denken und Sein ist also eine Widerspiegelung des selbst-unterschiedenen Seins von Sein und Denken, als das allem Sein selbst zustehende Vermögen, sich (irgendwie) von sich selbst zu unterscheiden, sich zu widerspiegeln.

[55] »Alle Möglichkeit setzet etwas Wirkliches voraus, worin und wodurch alles Denkliche gegeben ist. Demnach ist eine gewisse Wirklichkeit, deren Aufhebung selbst alle innere Möglichkeit überhaupt aufheben würde. Dasjenige aber, dessen Aufhebung oder Verneinung alle Möglichkeit vertilgt, ist schlechterdings notwendig. Demnach existiert etwas absolut notwendiger Weise.« (I. Kant, Der einzig mögliche Beweisgrund zu einer Demonstration des Daseyns Gottes (1763), A 29, hg. v. W. Weischedel, Frankfurt am Main, 1974, II, S. 643 ff.).

[56] Obwohl (auch) Engels davon überzeugt ist, daß wir sicherlich »das Denken einmal experimentell auf molekulare und chemische Bewegungen im Gehirn« reduzieren werden, beendet er seine Darlegung hier mit der bedeutsamen und rhetorischen Frage: »ist aber damit das Wesen des Denkens erschöpft?« (MEW 20, S. 513).

[57] MEW 20, S. 480.

[58] Wie Marx bereits in seinen Ökonomisch-philosophischen Manuskripten aus dem Jahre 1844 programmatisch ankündigte: »Die Geschichte selbst ist ein wirklicher Teil der Naturgeschichte, das Werden der Natur zum Menschen. Die Naturwissenschaft wird später ebensowohl die Wissenschaft von dem Menschen wie die Wissenschaft von dem Menschen die Naturwissenschaft unter sich subsumieren: es wird eine Wissenschaft sein.« (MEW, Ergänzungsband I, S. 544).

[59] »Gegenüber der ... Verwerfung aller früheren Geschichte sieht der moderne Materialismus in der Geschichte den Entwicklungsprozeß der Menschheit, dessen Bewegungsgesetze zu entdecken seine Aufgabe ist. ... Gegenüber der sowohl bei den Franzosen des 18. Jahrhunderts wie bei Hegel herrschenden Vorstellung von der Natur als eines sich in engen Kreisläufen bewegenden, sich gleichbleibenden Ganzen mit ewigen Weltkörpern ..., faßt er die neueren Fortschritte der Naturwissenschaft zusammen, wonach die Natur ebenfalls ihre Geschichte in der Zeit hat...« (MEW 20, S. 24).

[60] »Sobald an jede einzelne Wissenschaft die Forderung herantritt, über ihre Stellung im Gesamtzusammenhang der Dinge und der Kenntnis von den Dingen sich klarzuwerden ...« (ebd., S. 24).

[61] Ebd., S. 480.

[Copyright beim Verlag Pahl-Rugenstein Nachfolger]

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