TOPOS 33
Gottfried Schweiger
Begriff der dialektischen Naturphilosophie
»Schon bei dem Namen Naturphilosophie
muß einem einfallen, daß es eine Wissenschaft ist,
gegen die viele Vorurteile bestehen.«[1]
Was Hegel zur Eröffnung seiner Vorlesung von 1823/24 über die Naturphilosophie sagte, gilt auch heute noch und besonders für eine dialektische. Diese ist eine Theorie, von der es weder innerhalb des Typus von Philosophie, dessen Teil sie ist, des dialektischen Materialismus, noch gar außerhalb desselben einen fest umrissenen und unumstrittenen Begriff gab und bis heute auch nicht gibt. Einen solchen meine ich hier vorstellen und zur Diskussion stellen zu können. Daher beginne ich auch mit meiner Definition von dialektischer Naturphilosophie:
Die Funktion der dialektischen Naturphilosophie besteht darin, zwischen den ontologischen Grundsätzen des dialektischen Materialismus und den Naturwissenschaften zu vermitteln. Um diese Funktion zu erfüllen, nimmt sie ihren Ausgang bei den Naturwissenschaften als ihren Voraussetzungen, arbeitet also wissenschaftsphilosophisch. Sie verbleibt aber nicht auf der Ebene einer analyzistischen Wissenschaftstheorie, sondern versucht vielmehr, sich durch die Naturwissenschaften die Dialektik in der Natur zu erarbeiten und zu zeigen, wie sich die Dialektik der Natur in dieser spezifiziert. Um dies leisten zu können, muß sie aber gegenläufig auch in Form einer Regionalontologie gesetzt werden.
Alle Teile dieser Definition, die Funktion, Methode als auch der Inhalt der dialektischen Naturphilosophie, sollen nun näher expliziert werden, wobei dies auf einer allgemeinen Ebene geschehen wird, also ohne einen spezifischen Inhalt zu behandeln. Ich werde dabei die konstitutiven Einsichten und Probleme aus der Geschichte der dialektischen Naturphilosophie (von Hegel bis heute) aufnehmen und auch dadurch die Einsichtigkeit des von mir vorgestellten Konzeptes zu demonstrieren versuchen. Und auch wenn mein Konzept hier sich im Rahmen des dialektischen Materialismus als ontologisches Konzept über die Welt setzt, gehe ich davon aus, daß, selbst wenn der dialektische Materialismus falsch sein sollte, auch jede andere Form der Philosophie vor ähnlichen Problemen steht und zu einer ähnlich gelagerten Lösung getrieben wird, da es keine Philosophie geben kann, die nicht mit der Natur und den Naturwissenschaften zu Rande kommt.
Naturphilosophie zwischen Hörz und Holz
»Der spekulative Horizont der Totalität wird erst mit Wirklichkeit erfüllt, wenn er auf die positiv wissenschaftlich zu erfassenden Bestimmtheiten seiner einzelnen Teilbereiche bezogen wird.«[2] Dieser Satz aus dem Werk von Hans Heinz Holz kann als kurzgefaßte Beschreibung der Notwendigkeit einer dialektischen Naturphilosophie in ihrer Funktion als Vermittlung von Ontologie und Naturwissenschaft gesehen werden. Holz spricht in diesem Zusammenhang auch richtig von »dialektischen Vermittlungsprozessen«, ohne näher auf diese einzugehen. Doch warum bedarf der dialektische Materialismus dieser Vermittlung? Liest man folgende Sätze aus dem Lehrbuch Philosophie und Naturwissenschaften, dann wird diese Frage in ihrer Deutlichkeit spürbar: »Die marxistische Philosophie bedarf insofern keiner Ergänzung durch eine ›Naturphilosophie‹, als sie selbst die Verallgemeinerung auch der Ergebnisse der Naturwissenschaften ist und auch in ihrer Ganzheit eine weltanschauliche, ideologische und heuristische Funktion hat«[3]. Interessant und typisch ist an diesem Zitat, daß Philosophie nicht auch die Verallgemeinerung sondern die Verallgemeinerung auch der Ergebnisse der Naturwissenschaften ist. Gekoppelt an diese Konzeption einer »wissenschaftlichen Philosophie« ist die Annahme, daß die Philosophie auch methodisch an die Naturwissenschaften gebunden bleibt: »Wenn wir die wissenschaftliche Philosophie nicht mit besonderen Erkenntnisweisen ausstatten wollen, dann muß sie auf spezifische Weise, d.h. ihrer Aufgabenstellung angemessen, die wissenschaftlichen Methoden ausnutzen, die in anderen Wissenschaften zur Erkenntnisgewinnung benutzt werden.«[4] Damit erübrigt sich eine »aparte« Naturphilosophie oder Naturdialektik, die zwischen Ontologie und Naturwissenschaften vermittelt, da die Ontologie, oder, wie diese Philosophinnen und Philosophen lieber sagen, ihre weltanschaulichen Grundsätze, von sich aus bereits das Ergebnis einer Vermittlung in Form von Verallgemeinerung der Naturwissenschaften sind. So gesehen, wäre der gesamte dialektische Materialismus eine Art von Naturphilosophie. Ich halte dieses Konzept von Philosophie für zu vereinfachend und letztlich mißverständlich, was nicht heißt, daß nicht einige Einsichten daraus bewahrenswert wären und einfach dem Vergessen übergeben werden könnten. Doch erscheint es mir notwendig, den Fehler dieser Konzeption kurz aufzuzeigen.[5]
Was ich als ontologische Grundsätze des dialektischen Materialismus bezeichnet habe, fassen Hörz et al., als weltanschauliche Grundsätze, unter die unter anderem jene fallen: Anerkennung des Primats und der Unabhängigkeit der Materie, der materiellen Einheit der Welt, die Existenz der dialektischen Gesetze usw. Diese Grundsätze wurden nun, so zumindest für Hörz et al. in einem »von den Klassikern durchgeführten philosophischen Verallgemeinerungsprozess«[6] erarbeitet und seitdem »durch eine Vielzahl von praktisch-experimentellen Überprüfungen hinreichend [!] bewiesen [!!]«[7]. Als Klassiker sind hier natürlich Marx, Engels und Lenin gemeint. Und nachdem die Verallgemeinerung die Methode der »Klassiker« war, ist sie bindend für jede weitere »wissenschaftliche Philosophie«: »Wissenschaftliche Philosophie heißt eine Philosophie, (...) die im Prozeß der Verallgemeinerung (bspw. aus naturwissenschaftlichen Theorien, Experimenten und Hypothesen) den eigentlichen philosophischen Erkenntnisprozeß sieht.«[8] Wie gezeigt werden kann, bezieht diese Position ihren Halt aus einer Interpretation dessen, was Engels als entscheidenden Unterschied seiner zur Hegelschen Position ansah: »Es ist also die Geschichte der Natur wie der menschlichen Gesellschaft, aus der die Gesetze der Dialektik abstrahiert werden. (...) Der Fehler [Hegels] liegt darin, daß diese Gesetze als Denkgesetze der Natur und Geschichte aufoktroyiert, nicht aus ihnen abgeleitet werden.«[9] Oder im Anti-Dühring: »[H]ier aber handelt es sich nur um die Formen des Seins, der Außenwelt, und diese Formen kann das Denken niemals aus sich selbst, sondern eben nur aus der Außenwelt schöpfen und ableiten. Damit aber kehrt sich das ganze Verhältnis um: die Prinzipien sind nicht der Ausgangspunkt der Untersuchung, sondern ihr Endergebnis; sie werden nicht auf Natur und Menschheitsgeschichte angewandt, sondern aus ihnen abstrahiert; (...) die Prinzipien sind nur insoweit richtig, als sie mit Natur und Geschichte stimmen. Das ist die einzige materialistische Auffassung der Sache«.[10] Es kommt nun, will man Engels richtig einordnen und den Gehalt seiner Dialektik der Natur erfassen, darauf an, zu bestimmen, was dieses »abstrahieren« und »ableiten« aus der Natur meint. So wie ich es sehe, liegt der Impetus, Philosophie als Verallgemeinerung zu konzipieren darin geborgen, eben dieses »ableiten« und »abstrahieren« aus der Natur als Verallgemeinern aus den Naturwissenschaften zu lesen; eine Lesart, die gute Gründe anführen kann, aber nichtsdestotrotz der Sache nach fehlerhaft ist.[11]
Eine Kritik an dieser Art von Philosophie wurde nun unter anderem von Michael Weingarten vorgetragen, der zu Recht die Beschneidung der Philosophie zur Weltanschauung zurückwies, dies aber mit einem unbrauchbaren Argument. Weingarten glaubte daß die Philosophie von Hörz et al. dadurch aufgelöst werde, daß diese die Naturwissenschaften als dialektische ansahen. Und so beginnt sein Aufsatz Sind die Naturwissenschaften dialektisch? schon auf falschem Wege: »Es macht einen systematisch wichtigen Unterschied, ob man behauptet, die Naturwissenschaften selbst philosophieren - im Sinne von ›sie produzieren philosophische Aussagen‹ -, oder aber die Naturwissenschaften hätten philosophische Voraussetzungen, die mit den methodischen Mitteln der Naturwissenschaften selbst nicht eingeholt werden können.«[12] Natürlich ist das ein Unterschied, nur leider hat Herbert Hörz, dem erstere Meinung untergeschoben wird, dies nie behauptet. Denn es ist auch ein Unterschied zu sagen, daß die Naturwissenschaften für die Philosophie »relevant« sind oder der Philosophie »relevantes« Material zur Verfügung stellen, und daraus zu folgern, daß die Philosophie als Verallgemeinerung aus den Naturwissenschaften zu verstehen ist, und dem, was Weingarten behauptet. Gerade weil die Naturwissenschaften nicht philosophieren, bedarf es ja der philosophischen Verallgemeinerung. Und es ist auch ein Unterschied, ob die Naturwissenschaften dialektisch werden könnten, also ihre Methodik in Modell- und Theoriebildung verändern würden, oder ob sie anfangen zu philosophieren. Folgt man Engels, der unter dem »objektiven Zwang zur Dialektik« ein Denken in Zusammenhängen, und vor allem auch ein historisches Denken verstanden hat[13], dann ist damit nicht unbedingt gemeint, daß die Naturwissenschaften zur Philosophie werden. Und es ist, als letztes, auch ein Unterschied, ob man meint, daß die Naturwissenschaften ehemalige Arbeitsgebiete der Philosophie übernehmen, etwa die Naturphilosophie, oder ob man behauptet, diese würden die Philosophie als Ganzes überflüssig machen.
Es ist aber der Fall, daß Hörz sehr wohl zwischen ontologisch-weltanschaulicher und naturwissenschaftlicher Ebene, also auch zwischen Philosophie und Naturwissenschaft, unterscheidet und diese nicht in Eins setzte, obwohl Hörz annimmt, daß die Naturwissenschaften dem »objektiven Zwang zur Dialektik« erlegen seien oder zumindest dies bald tun würden. Hörz et al. vertreten weder die Ansicht, noch geben sie die Perspektive aus, wie Weingarten es unterstellt, daß eine ausgeprägte dialektische Naturwissenschaft die Philosophie unnötig machen würde. Man fragt sich intuitiv, warum Hörz et al. mehrere Jahrzehnte an Arbeit geleistet haben in einem Programm der philosophischen Verallgemeinerung, hätten sie die Meinung vertreten, daß die Naturwissenschaften ihre Arbeit, also die Philosophie, überflüssig machen würde. Und es ist auch fragwürdig, welche Konsequenzen Weingarten aus seiner Kritik zieht, also was es meinen kann, »die Unabhängigkeit der Existenz der Materie vor aller Erkenntnis«[14] und schließlich sogar die »objektive Wirklichkeit« in Frage zu stellen. Hier ist ein Weg gezeichnet, der sich vielleicht noch materialistisch nennt, aber eigentlich einen subjektiven Idealismus oder, was dasselbe ist, Konstruktivismus meint. Richtiger ist es von Weingarten schon, die Überbetonung der weltanschaulichen Funktion, die Hörz der Philosophie zuschreibt, zu kritisieren, ja, wie Hörz es versteht, die weltanschauliche Funktion als die eigentliche Funktion und Aufgabe der Philosophie zu konzipieren. Letztlich aber scheitert sein Versuch, mit den »ArbeitstheoretikerInnen« Peter Ruben und Renate Wahsner gegen Hörz zu argumentieren, daran, daß er genau auf den Fehler von diesen hereinfällt, den Hörz und andere zu Recht kritisiert haben: die Arbeit, was heißt den Menschen, zum Schöpfer der Wirklichkeit zu machen.
Eine wesentlich fundiertere Kritik ist aus dem Werk des oben zitierten Hans Heinz Holz zu gewinnen. Auch er stellt sich die Frage, ob die Naturwissenschaften die Philosophie einmal ablösen könnten: »Das könnte so scheinen, als verliere die Philosophie ihren Gegenstand - die Welt als Welt, das Seiende als Seiendes - und werde durch die Wissenschaften ersetzt.«[15] Seine Antwort fällt aber eindeutig aus: »Tatsächlich aber wurde die Philosophie in ihrem Problemstand, der ihr als genuin philosophisch zugehört, bestätigt: (...) als Ontologie der Welt«[16]. Es ist nun nicht der Fall, daß Hörz dies anders sehen würde, was den Inhalt dieser Ontologie betrifft, auch für ihn sind die ontologischen Grundsätze des dialektischen Materialismus nicht durch die Naturwissenschaften absorbierbar oder auf diese reduzierbar.[17] Die Frage, um die es sich dreht, ist die nach dem Weg zur Gewinnung dieser Grundsätze, die Frage, wie eine derartige Ontologie auszuarbeiten ist, ob als Verallgemeinerung oder, wie Holz meint, »die Dialektik der Natur im Rückschluß aus der Dialektik des Denkens zu gewinnen, ohne dabei in eine subjektiv-idealistische Konstitutionstheorie zu verfallen.«[18] Dialektik der Natur meint hier für Holz eben den Inhalt der Ontologie des dialektischen Materialismus. Ein Argument von Holz gegen den Weg der Verallgemeinerung ist, daß der »Gesamtzusammenhang« und seine konstitutiven Prinzipien als Inhalt der dialektischen Ontologie, dem Inhalt der Naturwissenschaften ontologisch vorgeordnet sind. Ein Argument, daß Holz zwar nicht mehr begründen kann, aber, wie ich glaube, richtig vermutet: »Daß diese Auffassung eine Begründung erfordert, warum das Real-Allgemeine ›Welt‹ gegenüber den Besonderen und Einzelnen ontologische Priorität besitzt, ist mir bewußt. Eine solche Begründung kann ich hier nicht liefern.«[19] Ein weiteres Argument gegen ein Verallgemeinerungsverfahren liegt einerseits darin, daß die Naturwissenschaften als empirische Wissenschaften nicht die Notwendigkeit ontologischer Grundsätze verbürgen können, andererseits aus ihnen die Dialektik der Natur als Gesamtzusammenhang gar nicht zu gewinnen ist. Holz umschreibt den ersten Sachverhalt mit der Unterscheidung von vérité de raison und vérité de fait. Ein Verallgemeinerungsverfahren kann zwar naturwissenschaftliche Erkenntnisse soweit extrapolieren, daß diese dem Anspruch nach die Welt im Ganzen erfassen, kann aber niemals die Notwendigkeit derselben geben. Und vor allem ist dadurch der eigentliche Gesamtzusammenhang noch gar nicht gedacht. Der Gesamtzusammenhang ist nämlich weder ein versteckter Physikalismus, noch die additive Zusammenfassung naturwissenschaftlicher Theorien. Er ist der transempirische, d.h. immer auch spekulative Begriff von Welt, in den sich die Naturwissenschaften zwar einordnen lassen (müssen), der aus ihnen aber nicht zu entnehmen ist. Wozu es auch gehört, das Subjekt, das in naturwissenschaftlichen Theorien verschwindet, zu denken. Die Möglichkeit, naturwissenschaftlich den Menschen als Objekt zu behandeln, ersetzt nicht die Aufgabe, das Subjekt als Subjekt zu denken.[20]
Zudem, und für mich das stichhaltigste Argument, läßt sich das in einem Verallgemeinerungsverfahren gesetzte Widerspieglungstheorem, sowohl in seiner ontologischen als auch erkenntnistheoretischen Bedeutung selbst nicht mehr einsehen, und so letztlich auch der legitime Erklärungsanspruch der Naturwissenschaften, sowie der Philosophie, die auf ihnen basiert, nicht mehr begründen, da dieses zwar die Naturwissenschaften in der Dialektik der Natur fundiert, aber eben als Fundament selbst nicht mehr erscheint. Daß die Naturwissenschaften die objektive Dialektik, die Natur zum Gegenstand haben und diese erforschen können, erklärt nicht die Möglichkeit und Bedingungen derselben, da diese Möglichkeit zwar durch diese realisiert, aber nicht thematisiert wird und auch nicht werden kann.[21] Sie können und müssen philosophisch reflektiert, in einer Ontologie fundiert werden, eine Aufgabe, die mit Hilfe der Methoden der Naturwissenschaften aber nicht möglich ist. Die Spekulation, die immer nötig ist, um die Welt als Welt, oder wie Hegel sagt, den Begriff des Begriffs zu denken, ist nicht die Methode der Naturwissenschaften, sie kann daher auch nicht aus diesen geborgt werden, um philosophische Fragen zu beantworten. Die Philosophie wissenschaftlich zu konzipieren, kann nicht meinen, sie zu einer Naturwissenschaft zu machen.
So müssen auch die ontologischen Grundsätze des dialektischen Materialismus in einer Philosophie, die sich nur als Verallgemeinerung versteht, letztlich gesetzt werden, ohne diese Setzung selbst wieder einholen zu können. Eine Setzung, die für Hörz et al. unproblematisch scheint[22], aber nicht ist. Es kann und sollte sogar die Philosophie immer auch auf ihr Erbe reflektieren und daraus schöpfen, die Einsichten der »Klassiker« können dabei aber auch nur in neuem Licht, das jede Zeit auf die Fragen der Philosophie wirft, übernommen werden, wenn ihre Leistung richtig bestimmt wird. So ist zumindest die These der Verallgemeinerungsarbeit der »Klassiker« auf ihre Stichhaltigkeit zu prüfen. Eine Prüfung, die einer kritischen Lektüre vor allem auch der Dialektik der Natur nicht standhält. Diese ist ohne den spekulativ-ontologischen Aspekt der Begründung des Gesamtzusammenhangs nicht zu denken.
Ich stimme daher mit Holz überein, daß letztlich »die dialektische Auffassung von der Natur (...) nicht von dem jeweiligen Stand der naturwissenschaftlichen Erkenntnisse abhängig ist (...); diese Gesetze haben den Charakter von konstitutiven Prinzipien, die nicht aus den Ergebnissen der Naturwissenschaften abstrahiert werden können (wenn man sie auch an ihnen aufzuzeigen vermag) und die ebenso wenig den einzelwissenschaftlichen Beschreibungen und Theorieentwürfen vorgeschrieben werden dürfen: Wohl aber erlauben die Grundgesetze der Dialektik die Interpretation einzelwissenschaftlicher Erkenntnisse im Hinblick auf ihre Stellung im Ganzen der Welt und die Formulierung von Fragen an die Wissenschaften über die Konsistenz und Kohärenz ihrer Forschungsergebnisse und Deutungshypothesen.«[23] Der zweite Teil dieses Zitates führt wieder zurück auf die Funktion der Naturphilosophie.
Um es begrifflich zu sortieren, sei hier gesagt, daß ich als Naturdialektik nur einen Teil dessen verstehe, was Holz unter diese subsumiert. Für ihn entfaltet sich die Naturdialektik sowohl als Ontologie, als Wissenschaft des Gesamtzusammenhangs, als auch als Vermittlung desselben mit den Naturwissenschaften. Dieser erste, und wie Holz richtig vermutet, fundamentalere Aspekt, die »Naturdialektik [als] eine Theorie von der Seinsverfassung der Welt«[24], wird mich nicht mehr weiter beschäftigen, und ich lasse daher auch außer Acht, wie Holz diese näher expliziert und ob dessen Vorschlag angemessen verfährt. Ich stimme mit ihm aber soweit überein, daß die Ontologie des dialektischen Materialismus nicht verallgemeinernd aus den Naturwissenschaften (her)vorgehen kann, sondern sich vielmehr spekulativ zu entfalten hat. Und gerade weil man es hier mit zwei unterscheidbaren Theorietypen (die aber letztlich nicht voneinander getrennt werden können, sich der dialektisch Materialismus also nur als Einheit beider denken läßt) zu tun hat, halte ich es für sinnvoll, sie auch terminologisch auseinanderzuhalten.
Und noch eine weitere terminologische Anmerkung ist hier angebracht. Ich übernehme von Holz die Unterscheidung von Dialektik der Natur und Dialektik in der Natur. Diese meint, wie oben schon erwähnt, einerseits als Dialektik der Natur den Inhalt der Ontologie, den Gesamtzusammenhang und dessen konstitutiver Prinzipien, und andererseits meint die Dialektik in der Natur den Inhalt der Naturwissenschaften: »Die Dialektik der Natur hat es primär mit der Natur im ganzen, erst sekundär mit dialektischen Verhältnissen in der Natur zu tun. Daran möchte ich festhalten, auch wenn uns zum Beispiel die moderne Biologie zu zeigen vermag, was es mit der Dialektik in der Natur auf sich hat.«[25] So gesehen ist es die Funktion der dialektischen Naturphilosophie, zwischen Dialektik der Natur und Dialektik in der Natur zu vermitteln, da die Dialektik der Natur jene in der Natur übergreift, es aber nicht möglich ist, ausgehend von der Dialektik der Natur jene in der Natur zu bestimmen oder gar zu deduzieren. Umgekehrt läßt sich die Dialektik der Natur aber auch nicht aus der Dialektik in der Natur verallgemeinern oder abstrahieren.
Doch warum bedarf nun die Ontologie der Vermittlung? »Allgemeine Ontologien [müssen] ihre Geltung oder ihr Scheitern erst in der weltanschaulich organisierenden und explanatorischen Kraft des von ihnen repräsentierten Weltmodells erweisen«[26]. Die explanatorische Kraft erweist sich, so lese ich diese Stelle, erst durch die Vermittlung von Ontologie und Einzelwissenschaften, was soviel heißt wie, daß auch für die spekulative Ontologie letztlich das gilt, was Engels schrieb, daß »ihre Prinzipien nur insoweit richtig [sind] als sie mit Natur und Geschichte stimmen.«[27] Und, so lese ich hier weiter, dieses »mit der Natur stimmen«, meint vor allem, mit den Resultaten der Naturwissenschaften stimmen.[28] Der Prüfstein der Ontologie liegt also nicht in ihr selbst, sondern außerhalb ihrer, in der Welt, deren Erkenntnis sie sein will, und genau aus diesem Grund bedarf es einer Vermittlung von Ontologie und Naturwissenschaft. Deshalb konzipiert Holz seine Ontologie aus dieser Perspektive auch als »offenes System«, was meint, daß sie »gemäß dem Fortschritt der Wissenschaften modifizierbar«[29] sein muß. Modifizierbarkeit verlangt eine Vermittlung, eine dialektische Naturphilosophie. Und diese Modifizierbarkeit, der hypothetische Charakter der Dialektik der Natur, gründet sich auch im Bezug zu Engels, daß »[e]in allumfassendes, ein für alle mal abschließendes System der Erkenntnis von Natur und Geschichte im Widerspruch [steht] mit den Grundgesetzen des dialektischen Denkens.«[30] Und so kann auch nur durch die Triplex von Naturwissenschaft - dialektischer Naturphilosophie - Ontologie sichergestellt werden, was als wirklich wissenschaftliche Philosophie anzusehen ist, nämlich, wie Hegel bereits wußte, daß die »Philosophie mit der Naturerfahrung übereinstimmend sein«[31] muß, sich in den Naturwissenschaften, wie Engels sagte, zu bewähren hat, ohne aber in den Naturwissenschaften aufzugehen oder »hierin ihre einzige Bestimmung zu sehen.«[32] Die Bestimmung des Verhältnisses dieser drei Bereiche und Theorietypen untereinander, sowie der zwischen ihnen verlaufenden Vermittlungsprozesse, stellen das Integral des dialektischen Materialismus dar. Ansonsten fällt dieser in die Systembastelei einer abgehobenen Überwissenschaft zurück oder degradiert sich zum bloß weltanschaulich, also politisch (durch)gesetzten Zwang zur Dialektik.
Ich unterscheide daher, ähnlich wie Holz, zwei Ebenen einer dialektisch-materialistischen Philosophie: Einerseits die Ausarbeitung einer Ontologie, andererseits die Vermittlung derselben mit den Inhalten der Naturwissenschaften, was die Ausarbeitung einer dialektischen Naturphilosophie meint. Beide sind aber, so wie die zugrunde liegende Welt, nicht voneinander zu trennen, auch wenn sie unterschieden werden sollten. Damit hoffe ich die Notwendigkeit der Funktion der Dialektischen Naturphilosophie dargelegt zu haben und werde mich nun damit beschäftigen, wie diese Funktion erfüllt werden kann und was Vermittlung hier heißen kann.
Naturphilosophie als Wissenschaftsphilosophie
Wenn die dialektische Naturphilosophie die Vermittlung zwischen zwei Seiten, zwei Ebenen und zwei Theoriegebäuden darstellen soll, dann muß sie mit beiden in Verbindung stehen, so wie eine jede Brücke nur eine Brücke ist, wenn sie auf beiden Seiten des Ufers ihren Halt findet. Und wie auch der Gang über jede Brücke prinzipiell von beiden Seiten begonnen werden kann, der Weg immer in die eine oder andere Richtung führt, so ist dies auch für die dialektische Naturphilosophie möglich. Ich werde nun zu zeigen versuchen, wie dieser Weg, die dialektische Naturphilosophie, vom Ufer der Naturwissenschaften aus vorzugehen hat.
Die Frage, die hier am Anfang steht, ist, was es bedeutet, daß die Naturwissenschaften und die dialektische Naturphilosophie die Dialektik in der Natur zum Inhalt haben, diese widerspiegeln. Michael Weingarten hat eine Überlegung an diese Frage geknüpft: Was sind die möglichen Folgerungen hieraus? Ich - »Das Verhältnis von naturwissenschaftlicher Theorie und philosophischer Theorie (als der ›Dialektik der Natur‹) muß systematisch unklar bzw. unbestimmbar bleiben, wenn naturwissenschaftliche Theorien selbst schon die objektive Dialektik der Natur erfassen.«[33] - sehe eigentlich nur vier Möglichkeiten: wenn gemeint ist, daß (1) die Naturwissenschaften die objektive Dialektik in der Natur nicht widerspiegeln, dann ist entweder die Naturwissenschaft keine Wissenschaft von der Natur, oder, (2) falls die Naturwissenschaften die Natur doch widerspiegeln, aber die objektive Dialektik nicht zum Inhalt haben, dann hat die Philosophie Unrecht, wenn sie eine objektive Dialektik postuliert, oder (3) es wird eine doppelte Wahrheit von Philosophie (dialektischer Naturphilosophie) und Naturwissenschaften angenommen, oder (4) als letzte Möglichkeit bleibt noch der Agnostizismus, daß man weder sagen könne, ob es eine objektive Dialektik gibt, noch ob und wie diese von Naturwissenschaften und/oder Philosophie widergespiegelt, also erkannt werden könne. Alle vier sind letztlich abzulehnen, und statt dessen ist eine Alternative zu wählen, die ihnen entgeht. Dazu können und müssen aber die konstruktiven Argumente und Einsichten auch derer übernommen werden, die wie Weingarten letztlich in obige Aporie geraten. Weingarten stützt sich, wie bereits erwähnt, in seiner Argumentation vor allem auf eine Gruppe, die er als »ArbeitstheoretikerInnen« bezeichnet und die als solche auch als Gegenpart zur Theorie von Herbert Hörz auftrit.
Peter Ruben formuliert richtig, daß »die Naturdialektik - wie die Philosophie überhaupt - keine empirische Theorie [ist]. Das bedeutet, daß ihr Ausgangspunkt nicht die aufweisbaren Naturdinge sind, daß ihre Aussagen nicht durch experimentelle Arbeit entschieden werden. Die dialektische Naturphilosophie behandelt vielmehr die theoretischen Ergebnisse der Naturwissenschaften als ihre gegenständlichen Voraussetzungen, die sie unter Vorraussetzung der dialektischen Methode nachdenkt.«[34] Hier wird darauf verwiesen, daß die dialektische Naturphilosophie in diesem Sinne keine Naturwissenschaft ist, sondern vielmehr eine Wissenschaftsphilosophie, die sich den Naturwissenschaften als ihrem Gegenstand zuwendet.
Ich teile und übernehme im Folgenden diese Konzeption von Naturphilosophie. Notwendig ist diese wissenschaftsphilosophische Ausrichtung der dialektischen Naturphilosophie aus drei Gründen: (1) Einerseits kann man ohne die Naturwissenschaften nichts über die Dialektik in der Natur sagen, (2) können die Naturwissenschaften sich nicht von sich aus in ein ontologisches Modell (ein)ordnen, sind also selbst keine dialektische Naturphilosophie, und (3) zudem bedarf es einer wissenschaftsphilosophischen Reflexion auf die Naturwissenshaften nicht nur aus reinem Erkenntnisinteresse einer Wissenschaftstheorie, sondern weil, wie Lenin richtig vermerkte, zum Prozeß der Erkenntnis immer drei Glieder gehören: Natur, menschliche Erkenntnis und die Form der Erkenntnis. Da die erkenntnistheoretische Seite des Widerspiegelungstheorems keinen platten Abbildrealismus, weder für die Naturwissenschaften noch für die Philosophie, meint, sondern konstruktive Momente einschließt, Wirklichkeit in gewissem Sinne »gemacht« wird, ist eine Untersuchung der Form naturwissenschaftlicher Erkenntnis auch notwendig, um diese selbst und ihre Resultate einschätzen und interpretieren zu können. Renate Wahsner hat in diesem Zusammenhang vom Nichtzusammenfall von natürlichem und naturwissenschaftlichem Gegenstand gesprochen. Wer durch die Naturwissenschaften hindurch den Naturgegenstand sich versichern, also die Dialektik in der Natur sich aneignen will, der kommt nicht umhin, zuerst die Form der Erkenntnis der Naturwissenschaften aufzuklären. Alle drei Glieder - objektive Dialektik, subjektive Dialektik und die Dialektik der Erkenntnisprozesse - bedürfen gleichermaßen einer philosophischen Reflexion. In diesem Sinne kann man, ohne in einen konstruktivistischen Agnostizismus zu verfallen, davon sprechen, daß sich im ersten Schritt die Aufgabe der dialektischen Naturphilosophie »von der Interpretation naturwissenschaftlicher Resultate auf die Analyse ihrer Produktion« verlagert. Es ist dies ein langbekannter Topos innerhalb der Wissenschaftsphilosophie, daß es weder eine theoriefreie Beobachtung und erst recht kein theoriefreies Experiment gibt, in den Naturwissenschaften also immer auch eine Philosophie geronnen ist, eine, wie Wahsner bemerkt, epistemologische Voraussetzung sie bestimmt. Und zwar, wie bereits gesagt wurde, eine Voraussetzung, die selbst nicht mehr Gegenstand der Naturwissenschaften ist.
Und unter dieser Voraussetzung kann auch eine Einordnung und Integration der Wissenschaftstheorie (klassischen Stils) in ein übergeordnetes Konzept von Wissenschaftsphilosophie gelingen, die im Rückgriff auf Marxens Diktum, daß »Wissenschaft allgemeine Arbeit«[35] ist, einen »positivistisch reduzierten und einseitigen Begriff der Wissenschaft als eines Systems von Aussagen« aufhebt.
Damit nun aber dieser Schritt hin zu einer wissenschaftsphilosophischen Naturphilosophie gerade nicht in die Aporien der »ArbeitstheoretikerInnen«, wie sie bei Weingarten dargestellt wurden, führt, ist es notwendig, sich immer dessen zu versichern, daß »die Natur außerhalb und unabhängig vom Menschen existiert und von ihm erkannt wird, indem naturwissenschaftliche Theorien als Widerspieglungen objektiv-realer Sachverhalte in der Auseinandersetzung des Menschen mit der Natur ausgearbeitet werden«.[36] Ansonsten wäre das Programm einer dialektischen Naturphilosophie, letztlich des dialektischen Materialismus überhaupt, nicht denkbar. Der objektiv vorhandene Aspekt des konstruktiven, des subjektiven in der wissenschaftlichen, also sowohl naturwissenschaftlichen als auch philosophischen Erkenntnis kann und darf nicht gegen seinen erkennenden, widerspiegelnden Teil ausgespielt werden. D.h. daß Wissenschaftsphilosophie und ihre gegenständliche Voraussetzung, die Naturwissenschaft, nur sinnvoll verstanden werden kann, wenn vorgängig ein ontologischer Begriff von objektiver Dialektik (Natur) und subjektiver Dialektik (Erkenntnis) in ihrer Einheit und Differenz zueinander bestimmt wurde.[37] Hinsichtlich der Schlüsselkonzepte von Holz und den »ArbeitstheoretikerInnen« heißt das auch, daß das Widerspiegelungstheorem dem der Arbeit vorgängig ist, um das Verhältnis von objektiver und subjektiver Dialektik, die Triplex von Natur, Erkenntnis und Form der Erkenntnis, zu verstehen: »Wenn die Dialektik der realen Naturprozesse dergestalt die objektive Voraussetzung für die im naturwissenschaftlichen Forschungsprozeß sich vollziehende subjektive Dialektik ist, so muß die philosophische Widerspiegelung dieses Prozesses so lange unvollständig bleiben, wie sie sich auf die erkenntnistheoretische Analyse beschränkt, ohne die ontologischen Voraussetzungen für die ermittelten Strukturen des Erkenntnisprozesses ihrerseits zum Gegenstand philosophischen Denkens zu machen.«[38] Das Verhältnis von Konstruktion und Widerspieglung darf also nicht gegeneinander ausgespielt werden, als ob die naturwissenschaftliche Erkenntnis nicht auch eine Form der Widerspiegelung wäre, sondern muß in der Einheit seiner Elemente als subjektive Dialektik im Sinne von Engels verstanden werden.[39] Was auch bedeutet, daß es nicht zweierlei Dialektik gibt, also der dialektische Materialismus nicht dualistisch ist, auch wenn er den Unterschied von subjektiver und objektiver Dialektik begreift. Die Gefahren eines konstruktivistischen Agnostizismus genauso wie die Unterstellung eines haltlosen Abbildrealismus sind auszuräumen, wenn die philosophische Reflexion das Verhältnis von Konstruktion und Widerspieglung in der naturwissenschaftlichen Erkenntnis nicht zu Gunsten einer Seite verschiebt oder die andere vernachlässigt und die ontologische Fundierung beider nicht zu leisten versucht.
Die Entscheidung, somit die Naturwissenschaften genauso wie die Philosophie und jede menschliche Erkenntnis widerspieglungstheoretisch als subjektive Dialektik in der objektiven Dialektik qua Natur zu fundieren und die Einheit ihrer Elemente in ihrem Bezug auf eben diese zu verstehen, ist jener der Arbeitstheoretiker vorzuziehen, da ansonsten der Anspruch sowohl von Philosophie und Naturwissenschaften, die objektive Dialektik begreifen zu können[40], entweder negiert werden muß oder unerklärlich wird, und um den Sinn von objektiver und subjektiver Dialektik überhaupt begreifen zu können. Weder konstituiert die subjektive Dialektik die objektive, noch stehen sich beide getrennt voneinander, in cartesischer Manier gegenüber. Auch Holz hat dies in der zu wünschenden Deutlichkeit ausgesprochen: »Das besondere Wesen der Arbeit ist von der Naturgeschichte her zu entwickeln und nicht umgekehrt die Naturgeschichte durch den Begriff der Arbeit zu erschließen, wie es in verschiedenen Ansätzen geschieht, die sich zwar als materialistisch verstehen, aber den historischen Materialismus entweder nur allein oder dem dialektischen konstitutiv vorgeordnet gelten lassen wollen. Der methodologische und sozusagen ›konstitutive‹ Vorrang des Arbeits- vor dem Naturverhältnis würde bedeuten, daß die Naturgeschichte erst durch die Arbeit (das heißt durch den Menschen) explizit wird, Dialektik der Natur sich mithin erst durch das Auftreten des Menschen aktualisiert.«[41] Auch der vom philosophischen klar zu unterscheidende Theorietypus Naturwissenschaft ist letztlich nur verständlich, wenn er als bestimmte Form der Widerspieglung, als Erkenntnis von Welt begriffen wird, da ansonsten der legitime Status der Naturwissenschaften nicht einsehbar ist.
Damit ist aber erst ein Schritt getan, und es wäre verkürzt, wenn man wie Renate Wahsner meint: »Philosophische Interpretation physikalischer bzw. naturwissenschaftlicher Tatsachen kann sinnvoll nur bedeuten, das erkenntnistheoretische resp. kategoriale Fundament der jeweiligen Theorie, in deren Rahmen die betreffenden Tatsachen gewonnen wurden, philosophisch aufzuklären.«[42] Was daran falsch ist, ist die Ausschließlichkeit, mit der Wahsner argumentiert.[43] Dialektische Naturphilosophie bedeutet nämlich nicht nur die Reflexion auf die Produktion, sondern auch die Interpretation naturwissenschaftlicher Resultate. Wo also Hörz zu weit geht, die Philosophie nur mehr als Verallgemeinerung von Resultaten zu verstehen, schlägt Wahsner in die umgekehrte Richtung aus, und will diesen überhaupt keine oder zumindest nur geringe Relevanz für die Philosophie zugestehen. Warum bedarf es einer Zusammennahme beider Seiten? Es bedarf ihrer, um die Vermittlungsfunktion der dialektischen Naturphilosophie überhaupt leisten zu können oder: um dem dialektischen Materialismus genüge zu tun. Wenn man dialektische Naturphilosophie unter dem Motto von Engels betreibt, daß es ihr darum zu tun ist, die Dialektik in der Natur als eben solche zu begreifen, also daß »die Natur die Probe auf die Dialektik [ist], und wir (...) der modernen Naturwissenschaft nachsagen, daß sie für diese Probe ein äußerst reichliches, sich täglich häufendes Material geliefert [hat]«[44], dann darf die dialektische Naturphilosophie nicht bei der wissenschaftsphilosophischen Reflexion auf die Produktion naturwissenschaftlicher Resultate stehen bleiben. Schließlich meint der dialektische Materialismus auch, daß die objektive Dialektik und ihre Gesetze »nicht neben, sondern in den Naturgesetzen existieren.«[45]
Hier nun kann unter kritischer Perspektive ein Nutzen aus den Arbeiten von Hörz et al. gezogen werden, und zwar unter der Hinsicht, daß deren Verallgemeinerungsarbeit eine Methode dafür liefert, wie die dialektische Naturphilosophie weiter arbeiten kann. Nicht um aus den Naturwissenschaften das herauszuholen, was man in sie hineinlegt, wie es Weingarten Hörz unterstellt, sondern um die Dialektik der und in der Natur in ihrer Einheit zusammenzudenken, aufeinander zu beziehen. Es bedarf nicht nur einer Analyse der Naturwissenschaften, es bedarf auch der inhaltlichen Ausformulierung und Bestimmung, wie diese die ontologischen Grundsätze des dialektischen Materialismus enthalten, also wie die Dialektik der Natur sich in die Dialektik der Natur spezifiziert.[46] Ob man hierfür die bereits von Hörz et al. ausgearbeiteten Methoden und Resultate einfach übernehmen kann und sollte, wird erst durch eine kritische Prüfung zu beurteilen sein. Aber wenn die objektive Dialektik, als Einheit von Dialektik der und in der Natur, nicht eine leere Formel sein soll, sondern eine wirkliche Bedeutung und einen Sinn haben, dann kommt man nicht daran vorbei, zu zeigen, daß und wie es in der Natur dialektisch zugeht. Und will man dies nicht im Sinne einer klassischen Naturphilosophie, die neben den Naturwissenschaften argumentiert, verwirklichen, kann es nur in Beziehung auf die Naturwissenschaften und deren Inhalte geschehen. Ich halte dies für eine unumgängliche Forderung für eine dialektisch-materialistische Philosophie.
So erscheint die dialektische Naturphilosophie als Theorie, deren Aussagen »nicht mit solchen der Einzelwissenschaften identisch oder auf sie reduzierbar [sind], [diese] können auf der anderen Seite aber auch nur um den Preis idealistischer Verabsolutierungen oder dogmatischer Verengungen von den Resultaten der Einzelwissenschaften abgelöst werden: sie sind Ergebnis der philosophischen Verarbeitung dieser Resultate und der Wege ihrer Gewinnung.«[47] Identisch sind ihre Ergebnisse eben genau deshalb nicht, nicht etwa weil sie eine bessere Naturerkenntnis wäre, man etwa unabhängig von den Naturwissenschaften etwas über die Dialektik in der Natur sagen könnte, sondern weil sie auch, aber nicht nur die Form der naturwissenschaftlichen Erkenntnis reflektiert, also wissenschaftsphilosophisch arbeitet, und diese zudem in ein übergeordnetes ontologisches Modell integriert.[48]
Zusammenschauend halte ich Folgendes fest: Wissenschaftsphilosophische Arbeit umfaßt mehrere Aspekte, in denen sie sich von dem, was üblicherweise unter Wissenschaftstheorie verstanden wird, unterscheidet, ohne dabei aber deren Einsichten einfach zu negieren. Sie muß sowohl auf die Produktion, als auch das Produkt der Naturwissenschaften unter Berücksichtigung ihrer historischen und gesellschaftlichen Bedingungen und Einordnung reflektieren und kann daher auch in manchen Aspekten ihrer Arbeit nicht losgelöst von anderen Disziplinen, etwa der Soziologie und Psychologie, konzipiert werden. Ich unterscheide grob drei Fragestellungen der Wissenschaftsphilosophie, die in ihrer Einheit, aber auch mit guten Gründen unabhängig voneinander, reflektiert werden können: (1) auf Ebene der Produktion von Naturwissenschaft, unter Rücksicht von wissenschaftssoziologischen und -historischen Fragestellungen, eine Reflexion auf den Erkenntnis- und Entwicklungsprozeß, so etwa eine Bestimmung des Verhältnisses von Theorie, Modell und Experiment in der Produktion naturwissenschaftlicher Erkenntnisse, oder die Aufklärung der Experimentalpraxis[49]; (2) auf Ebene des Produktes, d.h. vor allem von Theorien und Modellen, den Zusammenhang, Aufbau und die Struktur derselben für sich, als auch untereinander, was also klassisch unter Wissenschaftstheorie verstanden wurde[50], und (3) davon zudem zu unterscheiden, die Reflexion auf den Status und Gehalt von naturwissenschaftlichen Produkten und die Auswertung derselben, um die Dialektik in der Natur sich zu erarbeiten. Der dritte Punkt meint, daß die dialektische Naturphilosophie versucht, durch die Naturwissenschaften die Natur selbst zu verstehen, was ihr aber nur gelingen kann, wenn sie auch die Naturwissenschaften als Naturwissenschaften begreift. Deshalb spreche ich auch von einer dialektischen Naturphilosophie, die zwar wissenschaftsphilosophisch arbeitet, aber letztlich doch auf die Dialektik in der Natur gerichtet ist, also nicht auf einer metatheoretischen Ebene einer analyzistischen Wissenschaftstheorie stehenbleibt.[51] Dabei setzt sie eine Ontologie voraus, ohne aber in den Naturwissenschaften nur eine Beispielsammlung für ontologische Konzepte zu sehen. Die Naturwissenschaften sind nicht die Magd der Philosophie, die ihre spekulative Konzepte zu beweisen hätte, sondern vielmehr umgekehrt haben sich diese Konzepte in den Naturwissenschaften zu bewähren, was eine kritische Prüfung erfordert.
Naturphilosophie zwischen Hegel und Engels
»Heute, wo man die Resultate der Naturforschung nur dialektisch, d.h. im Sinn ihres eignen Zusammenhangs aufzufassen braucht, um zu einem für unsere Zeit genügendem ›System der Natur‹ zu kommen, wo der dialektische Charakter dieses Gesamtzusammenhangs sich sogar den metaphysisch geschulten Köpfen der Naturforscher gegen ihren Willen aufzwingt, heute ist die Naturphilosophie endgültig beseitigt.«[52] Unter Berufung auf dieses Zitat von Engels wurde und wird die Naturphilosophie im dialektischen Materialismus verabschiedet. Die Frage, die ich beantworten will, ist, inwieweit eine dialektische Naturphilosophie die Aufhebung der »klassischen« Naturphilosophie darstellen kann. Dazu, auch weil Engels und andere ihre Position unter Rücksicht, die zumeist Ablehnung meinte, darauf etablierten, werde ich die Hegelsche Naturphilosophie als Folie benutzen.
Diese ist in ihrer Struktur der Enzyklopädie und der Vorlesungsnachschriften ein Unternehmen mit drei Aufgabenstellungen: Am Anfang steht (1) die Bewältigung des Verhältnisses von Naturphilosophie und Naturwissenschaft, dann (2) die Formulierung eines Begriffes der Natur, und (3) im weitaus umfangreichsten Teil die ausgeführte Naturphilosophie, deren Aufgabe es ist, »die empirische Erscheinung, welche derselben [= die Begriffsbestimmung] entspricht, namhaft zu machen und von ihr aufzuzeigen, daß sie jener in der Tat entspricht.«[53] Zuerst einmal ist verständlich, daß der dialektische Materialismus die zweite Aufgabe der Hegelschen Naturphilosophie nicht mehr in einer »aparten« Naturphilosophie bewältigen kann, sondern in seine Mitte, in seine Ontologie, in die Dialektik der Natur aufhebt. Diese Philosophie nach Hegel hat nicht mehr damit zu kämpfen, daß Gott sich in die Welt »frei entläßt«[54]. Vielmehr, um es metaphorisch auszudrücken, entläßt die Natur den Menschen und behält ihn doch ganz in sich. Damit ist auch noch einmal daran erinnert, daß ich an einer Ontologie als den Naturwissenschaften und der dialektischen Naturphilosophie vorgängige (nicht getrennte) Entfaltung eines allgemeinen Begriffes der Natur festhalte.[55] Auch die Aufgabe, das Verhältnis von Naturwissenschaft und Philosophie zu denken und zu bestimmen, muß gelöst und nicht einfach negiert werden. Dafür ist unter Beziehung auf die Ontologie auch die Wissenschaftsphilosophie oder, in einem allgemeinen Horizont, die Erkenntnistheorie zuständig: »Es gibt also keine dialektische Philosophie ohne Naturwissenschaft und ohne ihre Bestimmung, natürlich umgekehrt auch keine Naturwissenschaft ohne Philosophie. Gerade deshalb muß man sie wohl unterscheiden.«[56] So wären einmal zwei der drei Aspekte der Hegelschen Naturphilosophie konstruktiv aufgenommen. Der dritte Aspekt ist der problematische, und es ist auch jener, den Engels für überflüssig hielt. Um meine Antwort zu geben, ist es notwendig, noch einmal diesen Teil nach zwei Gesichtspunkten zu unterscheiden: (1) erst einmal hat er die Aufgabe, die auch Engels lösen wollte, und den Sinn einer dialektischen Naturphilosophie mitbestimmt, nämlich zu zeigen, daß und wie es in der Natur zugeht.[57] (2) Dazu verwendet Hegel nun eine bestimmte Methode, folgend auch aus seiner Bestimmung des Verhältnisses von Philosophie und Naturwissenschaft, die nicht gänzlich klar entwickelt wird, aber für mich so zu charakterisieren ist: Hegel gibt die Losung aus, daß die Naturphilosophie den Stoff, den ihr die Naturwissenschaften bereiten, aufnimmt und nach Maßgabe des Begriffes transformiert. Dabei hält er aber daran fest, daß die Naturphilosophie selbst eben kein Berufen auf die Naturwissenschaften erlaubt, sondern nur nach Maßgabe der Erkenntnis des Begriffes in der Natur ihre Bestimmungen entwickelt.[58] In der Literatur zu Hegel entwickelten sich so zwei Interpretationen, von denen eine an einer apriorisch deduktiven Naturphilosophie festhält[59], die andere hingegen die Rolle der Naturwissenschaften als derartig konstitutiv für die Naturphilosophie versteht, daß diese letztlich eine Art von Wissenschaftsphilosophie darstellen soll oder gar nur eine Verallgemeinerung naturwissenschaftlicher Resultate[60]. Ich glaube nun, daß beide Interpretationen ihr Recht haben, dahingehend, daß Hegel tatsächlich viele Bestimmungen seiner Naturphilosophie aus den Naturwissenschaften entnimmt[61], dabei aber immer beansprucht, eigentlich logisch-deduktiv vorzugehen.[62] In der hier verwendeten Terminologie von Holz heißt das, daß Hegel die Naturphilosophie zwar entlang der Dialektik in der Natur (der Naturwissenschaften) entwickelt, diese Entwicklung aber als eine der Dialektik der Natur (der logisch-deduktiven Naturphilosophie) ausgibt. Dies ist ein Grundpfeiler der Hegelschen Philosophie überhaupt und wird wohl nirgends so deutlich manifest wie in der Geschichte der Philosophie, die eins ist mit der Entwicklung der Wissenschaft der Logik.[63] Hegel subsumiert, und deshalb ist er absoluter Idealist, die Wirklichkeit unter den Gang des Logischen, also für die Natur: sogar zu beanspruchen, erstere aus letzterem ableiten zu können, soweit es möglich ist. Und diese Grenze der Philosophie ist dabei keine erkenntnistheoretische, es ist eine ontologische. Die Naturphilosophie kann der Natur soweit beikommen, als es der Natur selbst möglich ist, den Begriff festzuhalten: »Jene Ohnmacht der Natur setzt der Philosophie Grenzen«[64] oder: »Alles kann man nicht begreifen in diesem Leichnam, denn die Zufälligkeit hat ihr Spiel dabei.«[65]
Genau dieses Moment einer absoluten Philosophie wurde von Engels kritisiert und muß zusammengedacht werden mit der Konzeption des Hegelschen Systems im Ganzen, als die Fesseln des Begriffes, in denen die Natur bei Hegel liegt. Diese Fesseln aufzubrechen meint, den dialektischen Materialismus zu entwickeln. Unter diesem Aspekt ist daher auch die Engels’sche Rezeption der Hegelschen Naturphilosophie zu lesen, die etwa in folgendem Brief ausgedrückt ist: »Schick mir doch die versprochne Hegelsche ›Naturphilosophie‹. Ich treibe jetzt etwas Physiologie und werde vergleichende Anatomie daran knüpfen. Es sind höchst spekulative Sachen darin, die alle aber erst neuerdings entdeckt wurden, ich bin sehr begierig zu sehn, ob der Alte nichts davon gerochen hat.«[66] Das meint eine Aufgabenstellung, die er in der Dialektik der Natur verwirklichen wollte. Nämlich gerade nicht die Naturphilosophie in ihrer Methode und ihrem Anspruch zu retten, sondern ihre Aufgabe zu erfüllen, zu zeigen, daß und wie es in der Natur dialektisch zugeht, und dafür benutzte er auch die Hegelsche Naturphilosophie als Folie, die er mit dem damaligen Wissensstand zusammenbrachte und zudem eigene Überlegungen entwickelte und damit verknüpfte. Engels wollte aber die Konzeption einer ausgeführten Naturphilosophie, unabhängig von ihrer Methode, überhaupt aufbrechen, unter der Erwartung, daß nicht nur die Hegelsche Naturphilosophie, sondern auch der Großteil seines Werkes bald überflüssig sein wird. Überflüssig deshalb, weil die Naturwissenschaften diese Arbeit für ihn übernehmen könnten.[67] Dieses Argument könnte auch die Dialektische Naturphilosophie treffen, daher soll es kurz erläutert werden.
Zwei Punkte sind zu unterschieden, um dieses Engelssche Argument zu verstehen: (1) einmal die von Engels (an)erkannte Tatsache, daß die Naturwissenschaften die Welt immer »besser« erkennen, also widerspiegeln und es keiner »aparten« Naturphilosophie bedarf, die neben den Naturwissenschaften ihr Dasein fristet. Sowie (2) die Vermutung von Engels, daß die Naturwissenschaften, indem sie die Dialektik in sich aufnehmen, sich selbst begreifen und dadurch die Vermittlungsfunktion der dialektischen Naturphilosophie ebenfalls selbst leisten können.[68] Während ich dem ersten Punkt vorbehaltlos zustimme, halte ich die zweite Einschätzung für falsch. Der zweite Punkt könnte tatsächlich meinen, daß die Naturwissenschaften von sich aus philosophische, vielleicht sogar auch ontologische Aussagen produzieren würden die sich von sich aus in ein ontologisches Modell (ein)ordnen, oder aber zumindest, und hier hakt die Hörzsche Interpretation ein, daß ein ontologisches Modell aus ihnen abzuleiten, zu verallgemeinern möglich ist. Was dann noch übrig bleibt, ist Erkenntnistheorie: »Für die aus Natur und Geschichte vertriebne Philosophie bleibt dann nur noch das Reich des reinen Gedankens, soweit es noch übrig: die Lehre von den Gesetzen des Denkprozesses selbst, die Logik und die Dialektik.«[69]
Aber genau deshalb bedarf es wissenschaftsphilosophischer Arbeit, weil der kategoriale Unterschied zwischen Naturwissenschaft und Philosophie sich auch darin ausdrückt, daß erstere sich nicht selbst begreifen können und über ihre Einordnung in ein ontologisches Modell nichts sagen, schon gar nicht dieses ersetzen können. Es gibt in diesem Zusammenhang etwa auch keine biologische Theorie biologischer Theorien, genausowenig wie eine biologische Einordnung biologischer Theorien in eine Ontologie. Hierbei kann man auch auf Engels’ vielgescholtenen, aber in diesem Zusammenhang sicher richtigen Hinweis zurückgreifen, daß »[d]ie Naturforscher sich stellen [mögen], wie sie wollen, sie werden von der Philosophie beherrscht.«[70] Damit ist aber nicht gesagt, daß die Naturwissenschaften nicht vielleicht auch in einem bestimmten Sinne dialektisch werden oder sein können. D.h. daß ich nicht ausschließe, daß es in den Naturwissenschaften auf methodischer und konzeptioneller Ebene zu einer Verschiebung kommt, und ein dialektisches Denken, wie Engels es fordert, Berücksichtigung finden und sich entfalten kann. Dadurch werden die Naturwissenschaften aber nicht zur Philosophie und können daher auch weder die Ontologie noch die dialektische Naturphilosophie ersetzen.
Es gibt somit keine dialektische Naturphilosophie, wenn diese als autonome »Naturlehre« getrennt von den Naturwissenschaften verstanden wird. Diese wurde durch die Naturwissenschaften »gegenstandslos«, was aber erhalten bleibt, ist die Notwendigkeit, alle drei Aufgaben der Hegelschen Naturphilosophie nicht zu negieren, sondern aufzuheben: den Naturbegriff in der Ontologie, wozu es auch nötig ist, die Bestimmung und das Verhältnis von Naturwissenschaft und Philosophie zu denken und, darauf aufbauend, eine dialektische Naturphilosophie auszuarbeiten. Engels hatte daher Recht, wenn er den künstlichen Systemaufbau der Hegelschen Naturphilosophie kritisierte, ohne aber deshalb daraus zu schließen, daß wichtige Elemente des Systems einfach negiert werden könnten.
Nach diesen Erläuterungen ist klar, daß die dialektische Naturphilosophie das Erbe der Hegelschen Naturphilosophie ihrer Aufgabe nach antritt. Sie übernimmt dabei den Aspekt Hegels, daß sich Naturphilosophie nicht losgelöst von den Naturwissenschaften denken läßt, dabei aber über eine bloße Wissenschaftstheorie hinausgeht. Die dialektische Naturphilosophie gibt ihre wissenschaftsphilosophische Arbeit nicht mehr als Erkenntnis aus dem Begriff aus, sie schließt keine Lücken naturwissenschaftlicher Forschung durch »Phantasieren«, wie Engels bemerkt. Da es im dialektischen Materialismus keinen Begriff mehr in der Natur gibt, keinen Gott, der sich in sie entlassen hat, ist es auch nicht mehr ein »Fehler« der Natur, den Begriff nicht festhalten zu können.[71] Die mannigfachen Formen in der Natur, also auch die Dialektik in der Natur, sind nicht mehr Mangel, sondern Ausdruck und Folge der Dialektik der Natur, klassisch formuliert: der Unendlichkeit der Materie und ihrer Bewegung.
Aus dieser Perspektive erscheint eine dialektische Naturphilosophie als Theorie, deren Aussagen »nicht mit solchen der Einzelwissenschaften identisch oder auf sie reduzierbar [sind], [diese] können auf der anderen Seite aber auch nur um den Preis idealistischer Verabsolutierungen oder dogmatischer Verengungen von den Resultaten der Einzelwissenschaften abgelöst werden: sie sind Ergebnis der philosophischen Verarbeitung dieser Resultate und der Wege ihrer Gewinnung.«[72]
Naturphilosophie als Regionalontologie
Was heißt das bisherige jetzt für die dialektische Naturphilosophie? Aus dem ganzen Gang meiner Überlegungen folgere ich Folgendes: Der dialektische Materialismus als Philosophie ist weder auf die Naturwissenschaften reduzierbar, noch ohne sie letztlich denkbar. Er steht in einem Verhältnis der Vermittlungsbedürftigkeit seiner allgemeinsten ontologischen (»weltanschaulichen«) Erkenntnisse und Aussagen mit den durch die Naturwissenschaften gewonnenen Ergebnissen. Die Dialektik der Natur muß sich also mit der Dialektik in der Natur vermitteln. Diese Vermittlung eröffnet sich von Seiten der Dialektik in der Natur durch eine Wissenschaftsphilosophie, die die Naturwissenschaften als ihre gegenständlichen Voraussetzungen hat. Wissenschaftsphilosophie meint hier also die Analyse und Aufklärung naturwissenschaftlicher Arbeit und ihrer Ergebnisse in ihren Theorien, Modelle etc., also auch die Aufklärung der philosophischen Voraussetzungen von naturwissenschaftlicher Arbeit. Doch damit allein ist die Sache noch nicht an ihrem Ende. Es bedarf eines gegenläufigen Aspektes von Seiten der Philosophie als Ontologie oder Wissenschaft des Gesamtzusammenhangs. Es wurde bereits darauf hingewiesen, daß auch der spekulative Horizont, den Holz eröffnet, sich letztlich an den Erkenntnissen der Naturwissenschaften messen oder besser: in diesen bewähren muß. Und hier nun finde ich eine weitere Antwort auf die Frage nach dem Status dessen, was in Hinblick auf Hegel als ausgeführte Naturphilosophie bezeichnet wurde.
Der maßgebliche Aspekt, die Hauptaufgabe der Hegelschen Naturphilosophie war es, als ausgeführte Naturphilosophie den Begriff in der Natur aufzuspüren. Dieser Aspekt, der mit Holz auch als Regionalontologie bezeichnet werden kann, also philosophische Theorie eines Seinsbereiches der Natur ist[73], kann nun, so glaube ich, sinnvoll in den dialektischen Materialismus integriert werden. Dies ist möglich, wirft man einen Blick auf das Verfahren der Vermittlung zwischen Ontologie und Naturwissenschaften von Seiten der ersteren. Einerseits können wissenschaftsphilosophisch die Naturwissenschaften analysiert und anschließend philosophisch verallgemeinert werden, doch bedarf es eines Äquivalents auf Seiten der Ontologie, was meint, daß, um eine sinnvolle Vermittlung herzustellen, beide auf der gleichen Ebene operieren sollten. Die regionalen Ontologien können dieses Äquivalent sein, da sie eben nicht allgemeine Ontologien sind, sondern die ontologischen Explikationen eines Seinsbereiches und dessen wesentlicher Strukturen und Gesetzmäßigkeiten. Um ein Beispiel zu bringen: die Regionalontologie Plessners ist das regionalontologische Äquivalent zur biowissenschaftlichen Forschung. Beide zielen auf den Seinsbereich der organischen Natur und versuchen die wesentlichen Bestimmungen desselben zu erarbeiten. Regionale Ontologien ersetzen die Naturwissenschaften also nicht, sind auch kein Gegenprojekt zu diesen, sondern stellen die Spezifikation allgemein-ontologischer Prinzipien dar. Da Naturwissenschaften per definitionem auf einen Seinsbereich und nicht auf den Gesamtzusammenhang gerichtet sind - ansonsten könnten sie ja auch die allgemeine Ontologie ersetzen -, ist der einfachste und sinnvollste Weg, mit ihnen zu kommunizieren, wenn die Ontologie sich auf ihre Ebene spezifiziert, sich also in regionale Ontologien setzt. Sicherlich ist dies mit gewissen Gefahren verbunden, die vor allem in den Blick kommen, wenn diese regionalen Ontologien mit dem Anspruch alleiniger Wesenserkenntnis auftreten und die Naturwissenschaften in ihrem Erklärungsanspruch nicht ernst nehmen oder diesen dem eigenen unterordnen wollen. Dies sind die Lehren, die aus dem Scheitern der Hegelschen Philosophie zu ziehen sind. Doch muß trotzdem der dialektische Materialismus diesen Schritt wagen und sich auch in der Form von regionalen Ontologien setzen, also versuchen, seine allgemeinsten Einsichten soweit zu spezifizieren, daß sie wirklich vermittelbar und auch überprüfbar werden. Nur so kann sich die »explanative Kraft« einer allgemeinen Ontologie auch wirklich zeigen. Dieser Vorschlag ist dann auch in Verbindung zu bringen mit dem, was Hörz als »präzisierte philosophische Aussagen« bezeichnet hat.[74] Ob der Weg nun mit Holz von »oben« nach »unten« oder mit Hörz von »unten« nach »oben« gegangen wird, ist letztlich nicht gegeneinander ausspielbar, da sich der dialektische Materialismus auf jeden Fall in beide Richtungen entfalten muß, er ist die Einheit seiner allgemeinsten Prinzipien als Dialektik der Natur und die Spezifikation derselben als Dialektik in der Natur. Und das ist er unabhängig davon, ob das Real-Allgemeine »Welt« dem Besonderen und Einzelnen ontologisch vorgeordnet werden kann oder sollte; er umfaßt beide, in welchem Verhältnis sie auch zueinander gesehen werden. Der Unterschied zwischen Naturphilosophie und Naturwissenschaft ist, diese doppelte Richtung in der Bewegung zwischen Ontologie und Naturwissenschaft zu vermitteln. Das meint nicht, um eine bessere Naturwissenschaft zu sein, sondern an und in diesen die Wahrheit des dialektische Materialismus zu zeigen und Rückschlüsse zu eröffnen für diesen.
Schluß
Die Naturphilosophie, so wie sie hier dargelegt worden ist, muß sich somit auf zwei Ebenen entfalten. Einerseits kann sie sich durch wissenschaftsphilosophische Arbeit ihren Gegenstand durch die Naturwissenschaften erarbeiten. Andererseits kann sie legitimerweise versuchen, auch im Stile klassischer Naturphilosophie, aus einem ontologischen Weltentwurf heraus, Seinsbereiche der Welt hinsichtlich deren wesentlicher Eigenschaften und Prinzipien zu bestimmen und ihre allgemein-ontologischen Einsichten soweit wie möglich zu spezifizieren.[75] Diesem Projekt sind natürlich Grenzen gesetzt. Es gibt keine Naturphilosophie dieses einen Termitenstammes oder genau dieser einen Fruchtfliege, und die Methode dieser Naturphilosophie als Regionalontologie ist auch nicht die von Beobachtung und Experiment. Deshalb darf eine dialektische Naturphilosophie ihren einzigen Sinn weder in einer Wissenschaftsphilosophie, noch in einer Regionalontologie sehen. Die wissenschaftsphilosophische Arbeit stellt einen und notwendigen Schritt dar, ist aber nicht der Abschluß der Naturphilosophie, da diese letztlich auch »auf den Gegenstand der naturwissenschaftlichen Theorien, die Natur, gerichtet«[76] ist. Beide Aspekte zusammengenommen, der wissenschaftsphilosophische und der regionalontologische, bilden das Programm einer Naturphilosophie, die eine Vermittlung von Ontologie und Naturwissenschaften darstellt, ohne die Dialektik der Natur oder jene in der Natur gegeneinander auszuspielen, und dabei doch als Teil der wissenschaftlichen Philosophie des dialektischen Materialismus, wie Engels betont, sich in den Wissenschaften bewährt, ohne ihren eigenen Status als Philosophie zu verleugnen.
Es ist ein Unterschied, wie Holz zu behaupten, daß uns die Naturwissenschaften, etwa die Biologie, zeigen können, wie es dialektisch in der Natur zugeht, und diesen Anspruch auch durchzuführen. Was zwar nicht bedeuten kann, die Ontologie durch eine Sammlung von gerade passenden Beispielen »beweisen« zu wollen, aber wenn man für seine ontologischen Thesen keine Belege in den Naturwissenschaften findet, sieht es um sie wohl ebenso schlecht bestellt aus.[77] So bedarf es einer Arbeit, da einem die Dialektik in der Natur nicht aus den naturwissenschaftlichen Lehrbüchern entgegenkommt, auch wenn sie darin enthalten ist.[78] Wäre sie es nicht, könnte man den dialektischen Materialismus ersatzlos streichen. Es war dies genau jene Arbeit, die weite Strecken die Engels’sche Dialektik der Natur prägte, und über diese Arbeit wurde sowohl gesagt, daß sie Engels für bald überflüssig hielt, aber wie ich meine, nicht überflüssig werden kann. Sie wird deshalb nicht überflüssig werden, weil Engels einerseits über weite Strecken dem Fehler nicht entging, Philosophie und Naturwissenschaften zu identifizieren, auf die Form der Erkenntnis zu wenig achtete, die prinzipiellen Grenzen der Naturwissenschaften nicht berücksichtigte, andererseits aber diese Arbeit immer wieder von neuem zu leisten ist. Wenn der dialektische Materialismus kein fertiges, sondern nur ein, mehr oder weniger, ausgearbeitetes Theoriegebäude ist, dann ist er immer wieder mit den Naturwissenschaften zu vermitteln, immer wieder die Einheit von Dialektik der und in der Natur zu zeigen. Wenn, wie Lenin glaubte, die Physik seiner Zeit den dialektischen Materialismus gebar, dann kann dies nur eines meinen: eine jede wissenschaftliche Revolution, ein jeder Erkenntnisfortschritt der Gattung Mensch ist in das System der »wissenschaftlichen Philosophie« des dialektischen Materialismus zu integrieren, nicht indem passend gemacht wird, was nicht paßt, sondern indem gezeigt wird, wie die Ontologie des dialektischen Materialismus, an der sicher noch viel zu arbeiten ist, diese neuen Inhalte konstruktiv verarbeiten und in sich aufnehmen kann, und dies nicht, weil sie beliebig, also letztlich leer, sondern weil sie Erklärung der Welt ist.
Die Sachlage ist so gerade heute eindeutig und meine Formulierung daher zum Schluß auch ganz pragmatisch: Man wird nie wissen, ob und vor allem wie es in der Natur dialektisch zugeht, wenn man sich nicht mit den Naturwissenschaften beschäftigt. Wer also daran festhält, daß es so ist, kommt nicht an den Naturwissenschaften vorbei. Allein auch aus diesem Grund, und nicht weil die Philosophie etwas »Besseres« wäre, braucht man eine dialektische Naturphilosophie, deren Inhalt die Dialektik in der Natur ist. Und auch eine Naturwissenschaft, die die Dialektik in sich aufgenommen hat, würde diese Arbeit nicht überflüssig machen, nur um einiges erleichtern,[79] da weder die Ontologie die Naturwissenschaften ersetzen kann, noch die Naturwissenschaften die Ontologie, und dabei die Dialektik der und in der Natur zwar unterschieden werden können, aber nicht getrennt, da die eine ohne die andere sinnlos ist.
[1] Georg W.F. Hegel, Vorlesung über Naturphilosophie, Berlin 1823/24 (Nachschrift von K.G.J. v. Griesheim), hg. von Gilles Marmasse, Frankfurt a.M. u.a. 2000, S. 61.
[2] Hans Heinz Holz, Weltentwurf und Reflexion. Versuch einer Grundlegung der Dialektik, Stuttgart 2005, S. 236.
[3] Herbert Hörz/Karl-Friedrich Wessel (Hg.), Philosophie und Naturwissenschaften, Berlin 1986, S. 17.
[4] Herbert Hörz, Marxistische Philosophie und Naturwissenschaften, Köln 1974, S. 27.
[5] Eine derartige Verengung ist aber nicht auf Positionen im dialektischen Materialismus beschränkt. Sie gilt für viele Naturalisten gleichermaßen, wie für einige Positivisten, die ihre »wissenschaftliche Weltauffassung« synthetisch aus den Resultaten der Naturwissenschaften gewinnen wollten.
[6] John Erpenbeck/Herbert Hörz, Philosophie contra Naturwissenschaften?, Berlin 1977, S. 38.
[7] Ebd., S. 31.
[8] Ebd., S. 29; Vgl.: »Die wissenschaftliche Philosophie (...) muß aus den Ergebnissen der Wissenschaften und der Praxis verallgemeinerte exakte Widerspieglung der objektiven Realität sein.« H. Hörz, Marxistische Philosophie und Naturwissenschaften, a.a.O., S. 18 f.
[9] MEW 20, S. 348.
[10] MEW 20, S. 33; vgl. auch MEW 20, S. 38.
[11] Diese Interpretation ist auch von jener Bonifaz M. Kedrows zu unterscheiden, der in der Dialektik der Natur ein wissenschaftstheoretisches Werk erkennt. Auch diese hat ihre Berechtigung, sollte aber nicht zum alleinigen Ziel der Engels’schen Arbeit erhoben werden. Die Dialektik der Natur verband mehrere Aufgabenstellungen und weist, leider, sowohl eine nicht immer ausreichend genau formulierte Unterscheidung ihrer Aspekte als auch der angewendeten Methodik auf.
[12] Michael Weingarten, Sind die Naturwissenschaften dialektisch?, in: Michael Otte (Hg.), Dialektik 1993/3: Natur, Naturwissenschaft, Kulturbegriffe, Hamburg 1993, S. 141.
[13] Vgl. MEW 20, S. 316, 320 und 345 f.
[14] M. Weingarten, Sind die Naturwissenschaften dialektisch?, a.a.O., S. 143. Man fragt sich immer, ob derartige Positionen wirklich davon ausgehen, daß es die Welt erst gibt, seitdem sie erkannt wird.
[15] Hans Heinz Holz, Einheit und Widerspruch. Die Problemgeschichte der Dialektik in der Neuzeit, Stuttgart 1997, Bd. 3, S. 336.
[16] Ebd.
[17] Hörz bestimmt die Dialektik mit Engels und in Übereinstimmung mit Holz als die »Wissenschaft von den allgemeinsten Beziehungen der Struktur, der Veränderung und Entwicklung in Natur, Gesellschaft und im Denken.« H. Hörz, Marxistische Philosophie und Naturwissenschaften, a.a.O., S. 311.
[18] H.H. Holz, Weltentwurf und Reflexion, a.a.O., S. 561.
[19] Ebd., S. 562, Anm. 50.
[20] Es ist hier ähnlich gelagert wie bei den Versuchen, biologische Theorien auf die Erkenntnistheorie zu übertragen. Die Möglichkeit, Erkenntnis von seinem materiellen Substrat her zu untersuchen, ersetzt nicht die Notwendigkeit, die Erkenntnis als Erkenntnis zu thematisieren, da diese zwar immer an ihr materielles Substrat gebunden ist, aber in diesem nicht aufgeht, weil Erkenntnis noch immer etwas anderes ist als chemo-physikalische Prozesse im Gehirn.
[21] Eine Argumentation aus dieser Perspektive, jener der Wissenschaftsphilosophie, findet sich auch bei Renate Wahsner: »Die Naturwissenschaft selbst kann jedoch nichts über ihre Einordnung in das gesellschaftliche Gesamtsystem, über die Gründe ihrer Entstehung und Wirksamkeit aussagen, sie kann sich nicht selbst begreifen.« [Kursiv - G.S.] Renate Wahsner, Naturwissenschaft, Bielefeld 2002, S. 45 (Bibliothek dialektischer Grundbegriffe).
[22] »Unsere Aufgabe als marxistisch-leninistische Philosophen (...) kann es nicht sein, die Ausarbeitung der Grundprinzipien des dialektischen Materialismus neu zu vollziehen. (...) wir müssen und können mit diesen Prinzipien arbeiten«. (Kursiv - G.S.) H. Hörz, Marxistische Philosophie und Naturwissenschaften, a.a.O., S. 104. Es sei nur bemerkt, daß Engels seine Arbeit bei weitem nicht so hoch einschätzte. Seine ganze Kritik an Hegel kann als Kritik an einer Absolutierung des menschlichen Wissens, also auch der Philosophie gelesen werden.
[23] H.H. Holz, Weltentwurf und Reflexion, a.a.O., S. 546. Und Holz versteht dies auch als das Programm von Engels, desselben Engels, von dem Herbert Hörz meint, daß dieser »die Entdeckungen der Naturwissenschaft als Grundlage für seine philosophischen Überlegungen« nahm. H. Hörz, Marxistische Philosophie und Naturwissenschaften, a.a.O., S. 52.
[24] H.H. Holz, Weltentwurf und Reflexion, a.a.O., S. 548.
[25] Ebd., S. 562.
[26] Ebd., S. 557.
[27] MEW 20, S. 33.
[28] Was dieses »stimmen« einerseits für die Naturwissenschaften, noch gar für die Ontologie meinen kann, ist bis heute nicht hinreichend geklärt. Die Formulierungen von Engels etwa, die alle darauf hinauslaufen, daß Philosophie und Naturwissenschaften mit den »Tatsachen« übereinzustimmen haben, ist zu vage und unbestimmt. Für die Ontologie, die nicht direkt, sondern nur vermittels einer dialektischen Naturphilosophie auf die Naturwissenschaften bezogen ist, gibt es, soweit ich es überblicke, eigentlich keine Überlegungen, was »Übereinstimmung« hier meinen kann.
[29] H.H. Holz, Weltentwurf und Reflexion, a.a.O., S. 541.
[30] MEW 20, S. 24.
[31] Enzyklopädie, § 246 Anm. (HW 9, S. 15).
[32] Renate Wahsner, Ist die Naturphilosophie eine abgelegte Gestalt des modernen Geistes?, in: Dies./Thomas Posch (Hg.), Die Natur muß bewiesen werden. Zu Grundfragen der Hegelschen Naturphilosophie, Frankfurt a.M. u.a. 2002, S. 25.
[33] M. Weingarten, Sind die Naturwissenschaften dialektisch?, a.a.O., S. 143.
[34] Peter Ruben, Begriff und Problem der Naturdialektik, in: Ders., Dialektik und Arbeit der Philosophie, Köln 1978, S. 183.
[35] MEW 25, S. 113.
[36] H. Hörz, Marxistische Philosophie und Naturwissenschaften, a.a.O., S. 41.
[37] Hier erblickt man sowohl die Grundfrage der Philosophie, als auch die bekannte Formulierung der Einheit des dialektischen Materialismus als Ontologie und Erkenntnistheorie.
[38] Kurt Bayertz, Zum Verhältnis von erkenntnistheoretischen und ontologischen Aspekten der materialistischen Naturdialektik, in: Peter Plath/Hans Jörg Sandkühler (Hg.), Theorie und Labor. Dialektik als Programm der Naturwissenschaft, Köln 1978, S. 50.
[39] Vgl. MEW 20, S. 481 ff.
[40] Die Ontologie ist auch Widerspieglung der Dialektik der Natur, oder anders: Widerspiegelung der Widerspiegelung; genauso wie die Naturwissenschaften Widerspieglung der Dialektik in der Natur sind.
[41] H.H. Holz, Weltentwurf und Reflexion, a.a.O., S. 382.
[42] R. Wahsner, Naturwissenschaft, a.a.O., S. 32.
[43] An anderer Stelle ist Wahsner aber sehr nahe an dem, was ich hier vorschlage: »Um einen materialistischen Monismus zu begründen, bedarf es (...) einer auf den Erkenntnissen der Naturwissenschaften basierenden (darauf basierenden, nicht in ihnen aufgehenden) Auffassung von der Natur (...) Dabei ist zu beachten, daß die philosophische Verarbeitung der naturwissenschaftlichen Erkenntnisse zu einem derartigen Naturkonzept die Analyse der in den Naturwissenschaften vollzogenen Begriffsbildungen einschließlich ihrer gegenständlichen (meßtheoretischen, technischen, sozialökonomischen) Grundlagen voraussetzt.« Renate Wahsner, Was bleibt von Engels’ Konzept einer Dialektik der Natur?, in: Marxistische Blätter 4, 1995, S. 42. Diese Formulierung stellt aber, soweit ich sehe, eine Ausnahme in Wahsners Werk dar.
[44] MEW 20, S. 22.
[45] H. Hörz/K.-F. Wessel (Hg.), Philosophie und Naturwissenschaften, a.a.O., S. 26. Was dieses »in« bedeutet, kann nicht unabhängig von einer Analyse der zu untersuchenden Theorie bzw. Naturwissenschaft gesagt werden.
[46] Es ist somit auch ein ganz entscheidender Unterschied, ob man naturwissenschaftliche Resultate popularisiert oder in Bezug auf eine Form der Philosophie und unter deren Rücksicht nachdenkt.
[47] K. Bayertz, Zum Verhältnis von erkenntnistheoretischen und ontologischen Aspekten der materialistischen Naturdialektik, a.a.O., S. 54f.
[48] Man kann unter einer Perspektive auch davon sprechen, daß die dialektische Naturphilosophie selbst Teil der Ontologie wird, wie es Michael Esfeld in seiner Konzeption für eine Naturphilosophie vorschlägt: »Der Blick der Naturphilosophie ist auf den Gegenstand der naturwissenschaftlichen Theorien, die Natur, gerichtet. [...] Die Naturphilosophie gehört gemäß dieser Bestimmung zu der philosophischen Disziplin der Ontologie, der Lehre vom Sein. [...] Die Naturphilosophie ist Ontologie eines bestimmtes Bereichs, der Natur.« Michael Esfeld, Einführung in die Naturphilosophie, Darmstadt 2002, S. 7 f.
[49] Vgl. etwa: James Bogen, Experiment and observation, in: Peter Machamer/Michael Silberstein (Hg.), The Blackwell Guide to the philosophy of science, Oxford 2002; Deborah G. Mayo, Error and the growth of experimental knowledge, Chicago 1996; Marcel Weber, The philosophy of experimental biology, Cambridge 2005, oder Frederick L. Holmes, The logic of discovery in the experimental life sciences, in: Richard Creath/Jane Maienschein (Hg.), Biology and epistemology, Cambridge 1999, S. 167-190.
[50] Vgl. etwa: Wolfgang Balzer, Der Nutzen der wissenschaftstheoretischen Analyse: dargestellt an der Frage der Gültigkeit und aus strukturalistischer Sicht, in: Paul Hoyningen-Huene/Gertrude Hirsch (Hg.), Wozu Wissenschaftsphilosophie? Positionen und Fragen zur gegenwärtigen Wissenschaftsphilosophie, Berlin/New York 1988, S. 53-74; Ulrich Krohs, Wissenschaftstheoretische Rekonstruktionen, in: Ders./Georg Toepfer (Hg.), Philosophie der Biologie. Eine Einführung, Frankfurt a.M. 2005, S. 304-321; Alexander Rosenberg, The structure of biological science, Cambridge 1985, oder Elisabeth A. Lloyd, The structure and confirmation of evolutionary theory, Princeton 1999.
[51] Wer so will, und aus der »klassischen« Wissenschaftstheorie herkommt, kann darin auch eine Zusammennahme von »epistemology of science« und »metaphysics of science« verstehen, wenn auch die Diskussionen, die sich unter diesen Namen abspielen, doch deutlich vom dem unterscheidbar sind, was die dialektische Naturphilosophie meint. Vgl. P. Machamer/M. Silberstein (Hg.), The Blackwell Guide to the philosophy of science, a.a.O.
[52] MEW 21, S. 296.
[53] Enzyklopädie, § 246 Anm. (HW 9, S. 15).
[54] HW 6, S. 573.
[55] Richtig formulieren Bernhard Heidtmann, Hans Heinz Holz und Hans Jörg Sandkühler, daß »[d]er Naturbegriff der materialistischen Dialektik, gestützt auf die Naturerkenntnis der Wissenschaften, der Gegensatz zum spekulativen Naturkonzept traditioneller Philosophien [ist]« Bernhard Heidtmann/Hans Heinz Holz/Hans Jörg Sandkühler, Materialistische Dialektik und Philosophie, in: Bernhard Heidtmann (Hg.), Dialektik 1. Orientierungen der Philosophie, Köln 1980, S. 39. »Gestützt« meint eben nicht in den Naturwissenschaften aufgehend oder in affirmativer Abhängigkeit von diesen, sondern wirklich gestützt, durch die Vermittlungsleistung der dialektischen Naturphilosophie.
[56] R. Wahsner, Naturwissenschaft, a.a.O., S. 48.
[57] Daß die Naturphilosophie für Hegel diese Funktion hatte, läßt sich auch dechiffrieren, wenn man davon ausgeht, daß die Mittlerfunktion der Naturphilosophie die Überleitung zur Sphäre des Geistes darstellt. Ich zitiere aus der Enzyklopädie: »Dies ist nun die Bestimmung und der Zweck der Naturphilosophie, daß der Geist sein eigenes Wesen, d.i. den Begriff in der Natur, sein Gegenbild in ihr finde. So ist das Naturstudium die Befreiung seiner in ihr (...) Der Geist hat die Gewißheit, die Adam hatte, als er Eva erblickte: ›Dies ist Fleisch von meinem Fleisch; dies ist Gebein von meinem Gebein.‹« Enz., § 246 Zusatz (HW 9, S. 23); Die Aufgabe ist es also, den Geist, den Begriff in der Natur ausfindig zu machen. Wenn man Idealist ist, dann heißt das, zu zeigen, wie sich die eigenen ontologischen Grundsätze in der Natur finden lassen, daß auch die Natur diese in sich trägt, wenn auch in vielleicht defizitärer Form. Und genau diese Aufgabe umschreibt jene der dialektischen Naturphilosophie, für die man nun auch sagen kann, daß es ihre Aufgabe ist, zu zeigen, daß die Dialektik der und in der Natur Fleisch von selbem Fleisch, Gebein von selbem Gebein sind.
[58] Vgl. Enz., § 246 Anm. (HW 9, S. 15).
[59] So etwa Wolfgang Neuser in seinem Kommentar zur Naturphilosophie: »Nach Hegel erweist sich Naturphilosophie dann darin als Philosophie, daß sie Begriffsbestimmungen apriori angeben kann. (...) Der Inhalt der Begriffsbestimmungen kann nur in der philosophischen a priori-Deduktion erwiesen werden.« Wolfgang Neuser, III Die Naturphilosophie, in: Hermann Drüe u.a. (Hg.), Hegels »Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften« (1830). Ein Kommentar zum Grundriß, Frankfurt a.M. 2000, S. 141 f.
[60] So etwa bei Manfred Gies, Naturphilosophie und Naturwissenschaft bei Hegel, in: John Michael Petry (Hg.), Hegel und die Naturwissenschaften, Stuttgart/Bad Cannstatt 1987, S. 65-83, oder Martin Drees, Das Werden des philosophischen Wissens von der Natur - Natur, Naturwissenschaft und Dialektik in Hegels Naturphilosophie, in: Annalen der Internationalen Gesellschaft für Dialektische Philosophie - Societas Hegeliana, Band III, 1986, S. 325-333.
[61] »Die Philosophie nimmt den Stoff, den die Physik ihr aus der Erfahrung bereitet, an dem Punkte auf, bis wohin ihn die Physik gebracht hat, und bildet ihn wieder um, ohne die Erfahrung als letzte Bewährung zu Grunde zulegen.« Enz., § 246 Zusatz (HW 9, S. 20).
[62] »[S]o hat dagegen das spekulative Denken jeden seiner Gegenstände und die Entwicklung derselben in ihrer absoluten Notwendigkeit aufzuzeigen. Dies geschieht, indem jeder besondere Begriff aus dem sich hervorbringenden und verwirklichenden allgemeinen Begriff oder der logischen Idee abgeleitet wird.« Enz., § 379 Zusatz (HW 10, S. 14).
[63] Vgl. HW 18, S, 49 oder HW 20, S. 456.
[64] (kursiv - G.S.) Enz., § 250 Anm. (HW 9, S. 35).
[65] Enz., § 339 Zusatz (HW 9, S. 349).
[66] Engels an Marx. 14. Juli 1858, MEW 29, S. 337.
[67] Vgl. MEW 20, S. 13.
[68] Vgl. R. Wahsner, Was bleibt von Engels’ Konzept einer Dialektik der Natur?, a.a.O., S. 37-43; Eine ähnlich Perspektive bietet auch Holz an, die aber in Konflikt gerät mit einem von ihm als notwendig erachteten Teil des Systems des dialektischen Materialismus, der Regionalontologie: »[S]ie [die Naturwissenschaften] entwickeln aus ihrer spezifischen Perspektive, indem sie ihre eigene Stellung in der Welt und zur Welt reflektieren, die philosophische Bestimmung ihrer selbst.« [Kursiv - G.S.] H.H. Holz, Weltentwurf und Reflexion, a.a.O., S. 539 f.
[69] MEW 21, S. 306.
[70] MEW 20, S. 480.
[71] Was natürlich nicht heißen kann, daß es in der Natur völlig chaotisch zugehen würde. Dies würde nicht nur jede Erkenntnis der Natur verhindern, sondern die Natur selbst zum »Einsturz« bringen. Daher halten Marx und Engels entschieden an der Rationalität nicht nur der »Form wissenschaftlichen Wissens, sondern als Struktur der Welt, der gemäß diese erkennbar ist und wissenschaftlich dargestellt werden kann« fest. H.H. Holz, Einheit und Widerspruch, a.a.O., Bd. 3, S. 319.
[72] K. Bayertz, Zum Verhältnis von erkenntnistheoretischen und ontologischen Aspekten der materialistischen Naturdialektik, a.a.O., S. 54 f.
[73] Die Hegelsche Naturphilosophie kann so in ihren zwei Teilen weiter, auch nach unterschiedlichen Allgemeinheitsgraden, gegliedert werden: 1) die Entwicklung eines ontologischen Naturbegriffes und 2) die Spezifikation desselben auf verschiedenen Ebenen, die Hegel als a) Mechanik, b) Physik und c) Organik bezeichnet. Der Plessnerschen Regionaolontologie entspricht größtenteils die Organik. Vgl. Enz., § 252 (HW 9, S. 37).
[74] Vgl. H. Hörz, Marxistische Philosophie und Naturwissenschaften, a.a.O.
[75] Vgl. H.H. Holz, Weltentwurf und Reflexion, a.a.O., S. 536.
[76] M. Esfeld, Einführung in die Naturphilosophie, a.a.O., S. 7.
[77] An der Natur kommt letztlich keine Philosophie vorbei, sogar der absolute Idealismus nicht. Wie diese und das Verhältnis von Philosophie und Naturwissenschaft aber konzipiert werden, entscheidet darüber, welche Philosophie am Ende herauskommt.
[78] Ich vernachlässige hier den Unterschied zwischen primärer und sekundärer Literatur im naturwissenschaftlichen Bereich. Obwohl es für die Arbeit des Naturphilosophen wichtig ist, diesen Unterschied zu berücksichtigen, da gerade in Lehrbüchern aus didaktischen Gründen eine grobe Vereinfachung in Verbindung mit einer metaphorischen und anthropomorphen Sprache gewählt wird.
[79] Was nicht heißen soll, daß nicht auch Naturwissenschaftlerinnen und Naturwissenschaftler diese Arbeit übernehmen könnten; nur sind sie dann eben nicht mehr solche, sondern philosophisch Argumentierende.