TOPOS 36

Philosophie II


Inhalt

Volker Schürmann: Hans Heinz Holz    * 26.02.1927 -  11.12.2011

Hermann Klenner: Ein unverbesserlicher Philosoph

AUFSÄTZE UND VORTRÄGE

Ingetrud Pape: Die Provokation der Philosophie

Volker Schürmann: Skeptische Anthropologie und das Politische

Wolf-Dieter Gudopp-von Behm: Fragen an Parmenides

Jörg Zimmer: »In dem Augenblicke der großen Erderschütterung«. Über Kleists ›Erdbeben in Chili‹, zur 200. Wiederkehr seines Todestages

Tobias Kriele: Zur Metapher der »Handmühle« bei Marx und Kant

Thomas Metscher: Kunst als ästhetischer Gegenstand

Andreas Hüllinghorst: Die logische Geburt des Dialektischen Materialismus. Wider den Kantianismus im Marxismus

AUS LITERATUR UND FORSCHUNG

Hans Heinz Holz : Dialektik - Theorieform und Erscheinung


Hans Heinz Holz ist tot. Der Philosoph und marxistische Metaphysiker, der Kunstliebhaber und Kunstkritiker, die streitbare Person des öffentlichen Lebens.

Hans Heinz Holz, geboren am 26. Februar 1927 in Frankfurt am Main, saß als 17-jähriger in Gestapohaft, was man wissen muß, um ihn und seine Schriften zu verstehen. Er promovierte bei Bloch, erarbeitete als Zeitungs- und Rundfunkredakteur in der Bundesrepublik sowie als freier Journalist und Kunstkritiker in der Schweiz. 1971 bekam er als erster Marxist in der Bundesrepublik einen Ruf auf eine Professur für Philosophie nach Marburg, positiv begutachtet von Ernst Bloch, Franco Lombardi, Helmuth Plessner, Gershom Scholem und Michael Theunissen. Die tatsächliche Besetzung war begleitet von langanhaltenden öffentlichen Auseinandersetzungen, während derer Holz seine eigene Professur bis 1973 lediglich vertrat. 1979 nahm er einen Ruf an die Universität Groningen/Niederlande an. Er folgte damit auch dem Reiz eines liberalen universitären Klimas, das Berufsverbotsdrohungen nicht kannte, wohl aber dereinst in der Zeit des deutschen Nationalsozialismus einem Helmuth Plessner Exil geboten hatte. Holz war ein wahrlich Großer seines Faches, unfaßlich belesen und von umfassender Gelehrsamkeit. Er genoß großes Ansehen in seiner Zunft und weit darüber hinaus - in der Bundesrepublik muß man sagen: obwohl er Marxist und Kommunist war. Neben vielem Anderem verlieh ihm der Verein Deutscher Ingenieure die Ehrenplakette. Seit vielen Jahren lebte er im Tessin und gründete dort gemeinsam mit seiner Frau Silvia Holz-Markun die Stiftung Centro di Studi Filosofici San Abbondio.

Hans Heinz Holz - das ist der Vielschreiber, der blendend Vortragende, der Souveräne, der so überaus Taktvolle, der verschwenderisch Inspirierende, der Hedonist, der im Denken und Handeln Konsequente, der Vielfältige.

Hans Heinz Holz - das ist der philosophische Materialist, der um die Naturbedingtheit all unserer gesellschaftlichen Verhältnisse weiß und dies nie zur nur Auch-Wichtigkeit herunterstuft.

Hans Heinz Holz - das ist der Theoretiker und Historiker der Dialektik, der gegenüber allen plumpen und subtilen Idealismus-Vorwürfen, auch und gerade seitens seiner Genossen, nie vergißt oder auch nur aus den Augen verliert, daß Hegel das philosophische Maß der allermeisten Dinge ist.

Hans Heinz Holz - das ist der politische Kopf, der Marxist und konsequente Kommunist, der nicht denken und handeln kann ohne den politischen Gehalt im typisch Kleinen und im typisch Großen zu sehen und kenntlich zu machen. So ist ihm Marx nicht ohne mittelalterliche Dialektik denkbar und öffentlich-politisches Leben nicht ohne die sogenannte abstrakte Kunst. Einzig der politische Gehalt der Mathematik bleibt ihm verschlossen. Und, ja, er ist Mitglied der DKP, maßgeblich beteiligt an deren Programmarbeit, selbstverständlich nicht, ohne selbst in dieser kleinen Gemeinde noch unbequem zu sein. Wer ein Benjamin-Buch unter den Titel Philosophie der zersplitterten Welt stellt, der weiß um die Fragmentierung der Welt und darum, in welchen Splittern sich Welt parteilich spiegeln mag.

Es gibt ein organisierendes Zentrum seines Denkens: Das Widerspiegelungstheorem. Daß alle Naturverhältnisse als Spiegelungsverhältnisse zu verstehen seien - davon ist Holz zutiefst überzeugt. Und zugleich will er in allen seinen Schriften immer nur, und immer noch, und immer wieder neu wissen, was das eigentlich genau meint und welche Konsequenzen das hat. Nur gegenüber Schlecht-Lesern muß man betonen, daß es jedenfalls nicht Ab-Spiegelung meint.

Hans Heinz Holz ist einzig in seiner Art. Es gibt nicht Vieles in der Philosophiegeschichte, was er nicht kennt, verarbeitet und gleichsam verdaut. Aber er steht nicht unter sogenannten »Einflüssen«, gar in kausalen Abhängigkeiten von andererleuts Texten. In diesem Sinne ist er fensterlos - seine Texte sind Ausdruck der Welt der Philosophie, nicht aber deren Abbild. Die vielleicht wichtigste Konsequenz dieser Einzigartigkeit ist, daß es Holz wie kein Zweiter konsequent zu vermeiden weiß, die Güte einer anderen Position mit seiner eigenen Zustimmungsfähigkeit zu dieser Position zu verwechseln. Lichtjahre davon entfernt, selber irgend etwas an der Philosophie Nietzsches reizvoll zu finden, ist es kein Problem, bei Holz mit einer Arbeit über Nietzsche zu promovieren. Das ist nicht selbstverständlich, sondern eine ungeheure Größe und Souveränität, die jedes Gegenüber von Holz erfährt. Müßte man sich angesichts dieses Reichtums und dieser Vielfalt gleichwohl entscheiden, welches denn wohl die Philosophie ist, die das Holzsche Denken wie keine andere prägt, so wäre die Antwort dennoch ganz einfach: Die Philosophie von Leibniz. Leibniz erhebt die Substantialität des Individuellen in all seinen Weltbezügen auf den Thron seiner Philosophie - und Holz ist hierin sein treuer Schüler.

Am Sonntag, dem 11. Dezember 2011,  ist Hans Heinz Holz im Alter von 84 Jahren in der Schweiz gestorben.

Volker Schürmann