TOPOS 15
Dieter Kraft
Stoa und Gnosis - Anpassung und
Verweigerung.
Typologische Aspekte zweier antiker Ideologien
Globalisation is not only an imperialistic term of the present time. We know the process of globalisation in history. Two periods are well-known: Hellenism and the Roman Empire. Both epochs are accompanied by philosophies and religions which try to give a special answer to the global challenges of existence and society. Two types are significant for different ideological arguments: Stoicism and Gnosticism. Stoicism affirms the new development and gives a universal philosophic platform for adaptation. Gnosticism refuses recognising new conditions and condemns the world with its divine rulers. Stoicism is looking for harmony, Gnosticism is searching a radical conflict. Two types of ideology interesting in history and the present.
Von der Polis zur Oikoumene
Als sich Zenon aus Kition um 300 ante Christum natum in einer mit Gemälden geschmückten Halle am Markt von Athen niederläßt und seine neue Philosophie vorträgt, findet er in dieser stoa poikile schnell großen Zulauf. Die Athener warten auf neue Lebenslehren. Seit die griechische polis aufgehört hat ein Stadtstaat zu sein, eine in sich geschlossene und weitgehend autokephale Stände- und Klassengesellschaft, deren Beziehungen zu anderen griechischen Stadtstaaten vornehmlich von Kriegern und Kaufleuten gestaltet wurden, hat das ursprünglich im Gerichtshof gesprochene Wort von der krisis einen ganz neuen und übergreifenden Klang bekommen. Mehr oder weniger sind nun alle Athener dazu verurteilt, sich nach ihrem neuen Bürgertum in einer Welt befragen lassen zu müssen, die nicht mehr an ihren Stadtstaatstoren endet, sondern in Asien und Afrika.
In seiner politischen Bedeutung muß sich Athen ohnehin und schon lange bescheiden, und mit der Niederlage von 338 gegen den makedonischen Phillip II. in der Schlacht von Chaironeia verblaßt der alte Ruhm endgültig. Bei Chaironeia unterliegen die Athener Militärs mit dem die siegentscheidende Reiterei anführenden Alexander einem Mann, der in der Folgezeit nicht nur die griechischen Städte in eine ebenso umwälzende wie verheerende Entwicklung treibt. Als Alexander III. setzt der Sohn Philipps nach seiner 336 erfolgten Inthronisation die makedonische Hegemonial- und Expansionspolitik in rasantem Tempo und in einem Ausmaß fort, das alle vorangegangenen hellenischen Kriegszüge nachgerade maßlos überbietet.
Als erste bekommen das die Nachbarn im Norden zu spüren, die Skythen und Illyrier, und 335 auch das einflußreiche Theben, das fast vollständig zerstört wird. Schon 334 zieht Alexander gegen Persien und schlägt ein Jahr später den Großkönig Dareios III.. 332 kapituliert die Phönizierstadt Tyros. 331 wird Sparta besiegt, Syrien erobert, Ägypten besetzt. Im selben Jahr fallen Babylon und Susa. 330 geht Persepolis in Flammen auf. 329 werden Baktrien und Sogdianien mit Samarkant unterworfen. Und schließlich zieht Alexander auch noch gegen Indien. Als er 323 stirbt, hinterläßt er ein Weltreich, das im Wortsinn der griechischen oikoumene enspricht.
Während Zenon in Athen seine neue Lebensphilosophie vorträgt, toben noch immer die Diadochenkämpfe um dieses Weltreich. Zwar wird es nun in neuen Kriegen herrschaftspolitisch aufgeteilt, doch es sind griechische Herrschaften, die diese oikoumene regieren und prägen. Und so wird Griechisch in der dialektreichen Gestalt der Koine zu einer Weltsprache, verbreitet sich hellenische Kultur und Religion, um wiederum mit Asiatischem, Arabischem, Nordafrikanischem zu jenem Konglomerat zu verschmelzen, das seit Johann Gustav Droysen Hellenismus genannt wird. Eine historische Abbreviatur, die der griechischen Überfremdung der eroberten Gebiete ebenso Rechnung trägt wie der multikulturellen Synthese, die für das hellenisierte Großreich nicht minder charakteristisch ist und von Alexander sogar planvoll befördert wird, wie die spektakuläre Massenhochzeit zu Susa 324 zeigt, bei der sich Tausende seiner Krieger mit Perserinnen vermählen müssen und Alexander selber eine Tochter des Dareios zur Frau nimmt. Der ethnische, religiöse, kulturelle Synkretismus gehört als sozio-kulturelle Signatur zum Hellenismus ebenso wie seine griechische Prägung.
Auch der aus dem zyprischen Kition stammende Zenon ist kein gebürtiger Grieche, sondern phönikischer Herkunft. In Athen findet man ihn bezeichnenderweise zunächst im Kreise der Kyniker, deren demonstrative Bedürfnislosigkeit auch eine Form der Solidarität mit den Stadtarmen ist und nicht nur Ausdruck einer Stadtbürgerlichkeit, die sich vor dem Niedergang der Polis und den bereits Einzug haltenden oikoumenischen Turbulenzen in einen originellen Individualismus zu retten versucht. Diogenes Laertius berichtet in seinem antiken Philosophenkompendium von dem berühmten Kyniker Diogenes aus Sinope: »Auf die Frage, welchen Gewinn ihm die Philosophie gebracht hätte, sagte er, wenn sonst auch nichts, so doch jedenfalls dies, auf jede Schicksalswendung gefaßt zu sein.«[1] Wer nichts hat, dem kann auch nichts genommen werden; wer sich selbst genug ist, den müssen keine politischen Verwerfungen beunruhigen; wer ein Weltbürger ist, der kümmert sich nicht um die Meinung der agora. Schon für die Kyniker ist der Kosmopolitismus eine ideologisch und natürlich auch eine sozialpsychologisch tragende Kategorie. Gefragt nach seinem Heimatort, antwortete Diogenes: »Ich bin ein Weltbürger.«[2]
Die Stoiker verstehen sich auch als Weltbürger. Doch ihr Kosmopolitismus hat, wie auch ihr Schicksalsverständnis, eine ganz andere Färbung. Überhaupt kommt ihrer Philosophie insgesamt eine ganz andere Funktion zu. Die Kyniker verweigern sich. Sie stellen sich jenseits aller Konvention und bloßen Tradition. Und so bergen die Provokationen ihres exzentrischen Individualismus letztlich immer auch Gesellschaftskritik, die zwar kaum damit rechnen darf, Veränderungen auslösen zu können, die dessen ungeachtet aber durchaus als eine Form des Protestes verstanden - und nur selten angenommen wird. Diogenes Laertius ruft dem Antisthenes noch 6 Jahrhunderte später nach: »Eine Hundenatur, Antisthenes, warst du im Leben. Mit deinem bissigen Wort trafst Du die Menschen ins Herz.«[3]
Ins Herz treffen wollen die Stoiker ihre Zeitgenossen nicht. Im Gegenteil. Sie sind keine Provokateure. Sie sind nicht einmal Kritiker, obwohl sie um das Leiden wissen - das Leiden an einer Welt, in der die Schrecken des Krieges zur Normalität gehören und unterschiedslos jeder von diesem Greuel heimgesucht werden kann, wie etwa in Theben, bei dessen Zerstörung Alexander Tausende Einwohner töten und den Rest als Sklaven verkaufen läßt. Sie wissen um das Leiden an einer Welt, die so groß und unübersichtlich geworden ist, daß der einzelne in ständiger Gefahr steht, in diesem Meer der Völkerverschmelzung unterzugehen. Sie wissen um die Inflation eines alten Wertesystems, das der neuen Welt des Alexander und seiner Diadochen nicht kompatibel ist. Und sie wissen, daß viele ihrer Zeitgenossen darauf warten, eine Orientierung zu finden, die es ihnen erlaubt, diese prekäre Lage bewältigen zu können.
Epikur wird eine solche Orientierung - aber nur für einzelne. Seine Empfehlung, doch einfach im Verborgenen zu leben, um zu überleben, ein paar gute Freunde zu suchen und möglichst jeder Unlust und also auch allem Politischen aus dem Wege zu gehen, ist kein Programm, das in einer Weltenkrise Massen mobilisiert. Die Stoiker aber bieten ein solches Programm, mit einem Erfolg, der über Jahrhunderte anhält und sich nicht zufällig auch im römischen Imperium fortsetzt[4].
Zu den Leitern der Athener Schule gehören nach Zenon aus Kition (~262): Kleanthes aus Assos (bis ~232), Chrysipp aus Soloi (bis ~206), Zenon aus Tarsos (bis ?), Diogenes aus Seleukeia (bis ~150), Antipatros aus Tarsos (bis ~129). Dessen Nachfolger, Panaitios aus Rhodos (~† 110), der Begründer der sog. ›mittleren Stoa‹, trägt die stoische Philosophie auch in römische Kreise. In der Schulleitung folgen ihm die Athener Dardanos und Mnesarchos nach, und dann läßt sich die Sukzession in Athen nicht weiter verfolgen. Der Syrer Poseidonios aus Apameia (~† 51) zählt schon nicht mehr zu den eigentlichen Schuloberhäuptern, obwohl er der letzte große Vertreter der griechischen Stoa ist, die in der römischen aufgeht und sich hier mit den Namen Seneca († 65 n.Chr.), Epiktet (~† 130) und Mark Aurel († 180) und z.T. auch schon mit Cicero († 43 v.Chr.) verbindet.[5]
Die ursprünglich sehr zahlreichen, doch nur fragmentarisch überlieferten Schriften[6] verdichten sich zu einem Bild, das in seiner relativen Homogenität zugleich die Geschlossenheit einer ideologisch affirmativen Weltanschauung zeigt. Die Kyniker wollen sich ostentativ verweigern, die Epikureer wollen sich stillschweigend aus allem heraushalten, die Stoiker aber sind entschlossen, sich den ungeheuren weltpolitischen Umwälzungen um jeden Preis anzupassen. Diese weltanschauliche Assimilation verläuft auf verschiedenen Ebenen, die im einzelnen ein unterschiedliches Gewicht erhalten, aber, weil letztlich derselben Problemlage verpflichtet, miteinander auch dort verbunden sind, wo sie zueinander im Widerspruch stehen.
Von der oikoumenischen zur kosmologischen Totalität
Die Akkommodation der Stoiker an die durch den Hellenismus bestimmte welt- und gesellschaftspolitische Entwicklung beginnt, biographisch gesehen, mit einer Wende, jedenfalls damit, daß sich Zenon von Kition von seinem alten Athener Lehrer Krates abwendet und den Kreis der Kyniker verläßt. Es ist nicht überliefert, ob er diesen Bruch seinen Zeitgenossen als notwendigen Schritt einer programmatischen ›Reform‹ zu erklären versucht, wohl aber wird alsbald deutlich, daß die dem Zenon folgende Bewegung der Stoa nicht reformieren, sondern weltanschaulich affirmieren und ideologisch legitimieren will. Und sie unternimmt dieses philosophisch in einer abstrakten Universalität, die für die griechische Antike beispiellos ist, doch in den makedonischen Eroberungen ihre konkrete politische Entsprechung findet.
Die Affirmationsphilosophie der Stoa setzt mit einer dubiosen These ein. Während sich ganz Griechenland in einem politischen und kulturellen Umbruch befindet und die unterworfenen Länder und Völker um ihre nationale Identität ringen, während der explodierende Hellenismus für tiefgreifende gesellschaftliche Turbulenzen sorgt und allenthalben Krieg befohlen wird, behaupten die Stoiker kategorisch: In dieser Welt geht alles mit rechten Dingen zu, in ihr ist alles logisch und vernünftig. Denn nicht nur diese Welt, sondern der gesamte Kosmos ist durchdrungen und wird getragen und geordnet und auf schönste Weise erhalten und gelenkt von einem göttlichen logos und also von einer alles regierenden und dirigierenden göttlichen Vernunft. Dieser Logos gibt aller Wirklichkeit Maß und Gesetzmäßigkeit, Sinn und Ziel. Die Natur, die Geschichte und selbst die Gestirne folgen seiner göttlichen »Logik«. Er ist die »Seele« und der »Geist« des Ganzen - und das Ganze ist eines, denn auch die Gottheit ist eine, und nichts ist außerhalb der Gottheit.
Hegels Diktum von der Identität des Wirklichen mit dem Vernünftigen hätte eigentlich durch die Stoa berühmt werden müssen. Jedenfalls vermitteln auch die Stoiker mit dieser Identität eine weltanschaulich-philosophische Grundstimmung, die erhaben macht und nicht verweilen läßt beim Widrigen des Widerspruchs und der Verwerfung in Gesellschaft und Geschichte. Natürlich denken sie das Leid nicht einfach weg. Im Gegenteil. In ihrer »Physik« erhält es sogar den Rang einer arche, eines ontologischen Grundprinzips:
»Das All, das Ganze (τὸ ὅλον) besteht aus zwei Prinzipien (δύο ἀρχὰς), dem wirkenden und dem leidenden (τὸ ποιοῦν καὶ τὸ πάσχον). Das leidende ist die qualitätslose Wesenheit, die Materie (ἡ ὕλη), das in ihr wirkende ist der Logos (ὁ λόγος), die Gottheit (ὁ θεός). Diese geht in ihrer Ewigkeit ganz durch sie hindurch und gestaltet (δημιουργεῖν) so die Einzeldinge.«[7]
Wie das Feuer sich mit den Dingen vermischt und sie durchdringt, so vermischt sich der Logos mit der ganzen Materie und durchdringt sie gestaltend. In einem solchen Vorgang hat das Leidende gar keine Wahl. Aber selbst noch im Leiden darf es sich rühmen (lassen), vom Göttlichen gestaltet zu werden.
Hinter Aristoteles und die subtile entelechisch vermittelte Dialektik von Stoff und Form fällt diese stoizistische Zuordnung von hyle und logos - rein philosophisch geurteilt - erstaunlich weit zurück. Ideologisch gesehen aber ist diese Vereinfachung plausibel. Denn in ihr läßt sich nicht nur der griechische Gestaltungsanspruch gegenüber den eroberten und besetzten Ländern und Völkern entdecken. Sie enthält auch für den im Hellenismus noch nicht angekommenen und unter den neuen Verhältnissen und Entwicklungen leidenden Griechen die Botschaft, sich mit Überzeugung fügen zu können.
Es ist keine metabasis eis allo genos, die Philosophie der Stoa nach ihrem Ideologiegehalt zu befragen und ihren philosophischen Monismus und Pantheismus mit dem politischen Panhellenismus in Verbindung zu bringen - und erst recht auch ihren philosophisch begründeten Kosmopolitismus mit dem politischen Oikoumenismus.[8] Die Stoiker selber geben mit der durch Generationen repetierten Maxime vom ὁμολογουμένως τῇ φύσει ζῆν[9] einen Kosmologie, Naturphilosophie, Ethik und Politik verbindenden Interpretationszusammenhang vor. homologoumenos te physei zen, in Übereinstimmung mit der Natur leben, convenienter naturae vivere[10], wie dann die römischen Stoiker schon nicht mehr ganz so beziehungsreich sagen, denn bereits in homologoumenos geht es etymologisch um den logos im legein, um den einen (homo) und alles, Natur und Geschichte, durchdringenden und bestimmenden göttlichen Logos. Nicht mit der Natur schlechthin ist nach Übereinstimmung zu trachten, sondern mit dem ihr innewohnenden Logos. Als logosgemäßes ist das naturgemäße Leben ein vernünftiges und als solches ein tugendhaftes und damit ein glückseliges Leben.
Auch für die Stoa ist die eudaimonia natürlich ein zentrales Thema. Und für die Stoiker charakteristisch ist Zenons ebenso schlichte wie prägnante Definition dieser mit »Glückseligkeit« eigentlich gar nicht adäquat wiedergegebenen eudaimonia: εὐδαιμονία δ' ἐστὶν εὔροια βίου[11], Glückseligkeit ist ein gut verlaufendes Leben - besser noch: ein gutes Leben fließt ungehindert dahin. Das klingt bescheiden und unspektakulär, aber gemessen an den äußeren Bedingungen, unter denen die Stoiker dieses gute Leben propagieren, ist der Anspruch sehr hoch. Wo schon kann Leben ungehindert dahinfließen - und nun gar in Zeiten sozialer und geschichtlicher Umbrüche und Umwälzungen, die vor niemandem halt machen und jeden erfassen und aus der Lebensbahn werfen können. Und um genau diese Frage gruppiert sich das lebensphilosophische System der Stoa: Wie muß sich der Einzelne verhalten, um in dieser kritischen Situation nicht aus der Bahn geworfen zu werden?
Die Antwort der Stoa ist einfach und umfassend zugleich und in dem Postulat eines naturgemäßen Lebens in jeder Hinsicht enthalten, denn kata physin zielt nicht nur auf die Welt der Natur, sondern auf die Natur der Welt, mithin also auf die Natur der Dinge ebenso wie auf die Natur des Menschen, der Polis, der Oikoumene. Denn alle unsere Naturen sind Teil des Ganzen, μέρη γάρ εἰσιν αἱ ἡμέτεραι φύσεις τῆς τοῦ ὃλου[12]. Hermeneutisch freilich kommt der Welt der Natur eine besondere Bedeutung zu, denn was ihr gegenüber gemäß heißt, das läßt sich plausibel vermitteln. Die ›physikalische‹ Welt der Natur gestattet dem Menschen - aufs Ganze gesehen - keinen willkürlichen Handlungsspielraum. Niemand verstößt ungestraft gegen die Ordnung der Natur, niemand kann ihren nomos, ihre Gesetzmäßigkeit aufheben. Wer die Naturordnung nicht akzeptiert, wer sich ihr nicht anpaßt und unterwirft, der bezahlt gegebenenfalls sogar mit dem Leben. Auf jeden Fall aber bringt er in sein Leben Unordnung und mit ihr Schmerz und Leid. Es ist also vernünftig, die Ordnung der Natur zu respektieren und sich ihr zu akkommodieren – und dieses um so mehr, so nun die besondere Betonung der Stoiker, als sich in dieser Ordnung nichts anderes als der göttliche Logos manifestiert. Der aber waltet nicht nur im Naturgeschehen, sondern gleichermaßen auch in der Geschichte. Und so gilt auch für die Geschichte, was für die Natur gilt: Wer sich ihr nicht anpaßt und unterwirft, der bringt sich um seine eudaimonia.
Die über Jahrhunderte anhaltende Popularität der Stoa verdankt sich nicht zuletzt auch der Tatsache, daß die Stoiker diese Anpassung nicht vordergründig dekretieren, sondern hintergründig für sie werben. Niemand muß, aber alle dürfen sich »logosgemäß« verhalten - und das aus guten Gründen. Diese guten Gründe heißen pronoia und heimarmene. Eigentlich könnte man beide mit Vorsehung übersetzen, denn pronoia und heimarmene überschneiden und vermischen sich, bis hin zur Austauschbarkeit[13], die darin gegeben ist, daß beide letztlich wiederum mit dem logos identisch sind[14]. So kommt in der sprachlichen Differenzierung eher eine Unterscheidung der Beziehungsebenen zum Ausdruck. Während sich die Vorsehung als pronoia auf das Verhältnis des Menschen zum Naturgeschehen bezieht, bezieht sie sich als heimarmene, als Schicksal, auf seine Geschichte. Und in beidem darf der Mensch nun davon ausgehen, daß in allem nicht nur Ordnung schlechthin herrscht, sondern eine menschenfreundliche, weil alles in allem zweckmäßige und nützliche und auch schöne Ordnung.
μηδὲν ὑπὸ τῆς φύσεως γίνεσθαι μάτην,[15] sagt der Athener Chrysipp: Nichts geschieht in der Natur umsonst. Omnia aliorum causa esse generata,[16] zitiert ihn später der Römer Cicero: Alles ist um eines anderen willen geschaffen - und er schwärmt von den Pflanzen, die für die Tiere, und von den Tieren, die für die Menschen, von den Pferden, die zum Reiten, von den Ochsen, die zum Pflügen, von den Hunden, die zum Jagen, von den Schweinen, die zum Schlachten da sind. Alles ist miteinander sinnvoll verbunden und aufeinander bezogen. Das eine ist die Voraussetzung des anderen, und alles hat eine Bestimmung und ein Telos.
Bevor Leibniz von der »prästabilierten Harmonie« sprechen wird, haben die Stoiker diesen Topos längst besetzt und dabei das harte Wort vom Widerspruch rhetorisch weitgehend ausgeräumt: Natürlich ist die Harmonie im einzelnen nicht immer ganz vollkommen, aber aufs Ganze gesehen[17] steht ho kosmos für Ordnung und Schmuck.
In dieser »besten aller möglichen Welten« sorgt die Vorsehung aber nicht nur für ein planvolles Mit- und Füreinander der Natur, die heimarmene nimmt sich auch des Menschenschicksals an und läßt ein logosgemäßes Leben gut verlaufen, denn letztlich hat die pronoia vorzugsweise (προηγούμενος) um der vernünftigen Wesen willen alles hervorgebracht und sorgt (pronoei) vorzugsweise für diese[18]. Der Zeus-Hymnus des Kleanthes weiß denn auch zu rühmen:
»Nichts gibt es auf Erden, was deiner Gottheit entzogen, nichts in dem Reiche des Äthers noch drunten in Fluten des Meeres. Nur was Böses die Menschen vollbringen, das tut ihre Torheit. Aber du weißt auch das Krumme zum Graden zu richten. Was häßlich, schön wird’s in deiner Hand, was feindlich, ergibt sich in Liebe; Gutes und Böses, sie werden vereint zu einem Verbande; eine Vernunft herrscht ewig, faßt alles harmonisch zusammen.«[19]
Auch Kleanthes beherrscht die Kunst, das offensichtlich doch nicht ganz zu übergehende Üble und Böse (kakos) rhetorisch zu relativieren. Völlig ausräumen aber können es die Stoiker natürlich alle nicht. Jedenfalls nicht objektiv. Und so konzentriert sich denn ihre Ethik fast ausschließlich auf die Frage, wie das Übel subjektiv zum Verschwinden gebracht werden kann. Und ihre Antwort lautet: indem wir unsere Einstellung zum Übel korrigieren und, wenn auch das nicht hilft, das Üble einfach ignorieren. Der Weise beherrscht das eine wie das andere. Und Weisheit ist eine Tugend, die erlernbar ist.
Das von der Stoa entwickelte Exerzitium ist nicht umfangreich, dafür aber sehr kompakt. Zu der Hauptübung gehört es, sich der sog. Affekte, der pathe, zu entledigen und Trauer, Furcht, Begierde und Lust[20] zu überwinden, um apathisch, leidenschaftslos, werden und den erstrebenswerten Zustand der Ataraxie und Autarkie erreichen zu können, die Selbstgenügsamkeit und Unabhängigkeit von allen inneren Erregungen und äußeren Bewegungen. Für den Leidenschaftslosen kommen viele Übel erst gar nicht in Betracht. Nicht einmal das Leid des Nächsten geht ihn etwas an, denn Mitleid ist nur eine Form der Trauer und als solche eine unvernünftige und naturwidrige Bewegung der Seele[21]. Die römischen Stoiker bekräftigen solche Grundsätze später mit Nachdruck: misericordia est aegritudo animi[22], Mitleid ist eine Krankheit der Seele. Die »vernünftige« und »gesunde« Seele des »Weisen« läßt sich durch nichts aus der Ruhe bringen. Er weiß, daß alles nur eine Frage der richtigen Einstellung ist, die die nichtige Meinung (doxa) hinter sich läßt.
»Alles ist Meinung, und diese hängt ganz von dir ab. Räume also, wenn du willst, die Meinung aus dem Wege, und gleich dem Seefahrer, der eine Klippe umschifft hat, wirst du unter Windstille auf ruhiger See in den sicheren Hafen einfahren.«[23]
Es kommt nicht darauf an, die Verhältnisse zu verändern, sondern sie zu interpretieren - und zwar so, daß möglichst alles Üble von ihnen abfällt. »Darum muß man nicht die Armut vertreiben, sondern die falsche Ansicht von ihr; so werden wir glücklich sein.«[24]
Was für die Armut gilt, das gilt letztlich für alle prekären sozialen Verhältnisse und natürlich auch für die Sklaverei. Bis heute wird die Stoa oft dafür gerühmt, auch dem Sklaven konzediert zu haben, ein Mensch zu sein[25]. Und tatsächlich touchieren die Stoiker damit eine Herrschaftsideologie, der auch ein Aristoteles geradezu selbstverständlich verpflichtet ist. Doch die soziale Konsequenz und also die Forderung nach Abschaffung der Sklaverei folgt daraus mitnichten, obgleich eine solche Forderung nun erst recht erhoben werden müßte. Den Stoikern aber liegt nichts an gesellschaftlichen Veränderungen. Sie verändern lediglich die Perspektive und können so die Sklaverei verschwinden lassen. Denn nur der ist ein Sklave, der sich zum Knecht seiner Affekte macht; die wahre Freiheit besteht in der inneren Unabhängigkeit[26].
Als der makedonische König Antigonos den achtzigjährigen Zenon als Erzieher an seinen Hof beruft, beweist er ein sicheres Gespür für staatstragende Ideologien. Zenon schlägt den Ruf aus Altersgründen zwar aus, doch schickt er zwei seiner Schüler[27] und kommt so jener kosmopolitischen Staatsbürgerpflicht nach, die für die Stoa insgesamt zum unbedingt Gebotenen gehört[28]. to kathekon nennen seit Zenon[29] die griechischen Stoiker jenes unbedingt Gebotene, das dann in der römischen Stoa als officium[30] einen geradezu amtlichen Charakter erhält Im Zentrum dieser sog. Pflichtenlehre steht die Entfaltung einer Gesinnungsethik, die auf die unbedingte Übereinstimmung mit dem vom Logos bestimmten Grundgesetz des Naturgemäßen abzielt[31]. Das kathekon wird so zu dem kategorischen Imperativ, sich unter allen Umständen und also rücksichtslos[32] der von der pronoia getragenen Wirklichkeit zu akkommodieren. Und natürlich heißt das für die Stoiker auch: sich der Staatspolitik zur Verfügung zu stellen[33] und unnachsichtig für die Einhaltung und Durchsetzung der Staatsgesetze einzutreten[34].
Es ist kein Zufall, daß die »Lebensphilosophie« der griechischen Stoa in dem die Diadochenreiche nach und nach und 30 ante Christum natum schließlich endgültig erobernden Imperium Romanum weiterlebt. Dafür sind die gesellschaftlichen Konsequenzen der griechischen und der römischen Globalisierung viel zu ähnlich[35]. Wer in dem nun noch größeren Römischen Weltreich möglichst unbeschadet überleben will, der muß sich auch diesem neuen Imperialismus anpassen und nach jener conciliatio trachten, die die griechischen Stoiker bezeichnenderweise oikeiosis[36] nennen. οἰκειόω: sich jemanden zum Freund und zum Vertrauten machen, sich etwas zueignen - und im eigentlichen Wortsinne (oikos, das Haus): sich häuslich einrichten, heimisch werden. In kaum einem anderen Begriff widerspiegelt sich das Grundanliegen der Stoa so sinnfällig und so präzis wie in dem der oikeiosis. Und in keiner anderen antiken Philosophie als der der Stoa wird eine weltanschaulich und ideologisch so umfassende und präzise Antwort auf die existentiell und politisch gleichermaßen hochbrisante Frage gegeben, wie man sich in einer feindlich werdenden Welt und Geschichte intellektuell einzurichten hat, um ein Teil dieser Welt und dieser Geschichte werden und also einen Paradigmenwechsel vollziehen zu können, der aus dem Ort der Bedrohung ein Zuhause macht. Und dabei wird von den Stoikern selbst noch das Scheitern dieser oikeiosis vorsorglich bedacht und mit der Empfehlung verbunden, ganz gelassen den Freitod zu wählen, wenn das Leid denn doch zu mächtig wird[37].
Daß die griechische Stoa im römischen Weltreich ihre Fortsetzung finden kann, verdankt sie aber nicht nur analogen historischen Prozessen. Sie verdankt diese Prolongation vor allem auch der Tatsache, daß sie in ihrer Funktion als populare Überlebensphilosophie zugleich und in herausragender Weise die Kriterien einer hegemonialen Herrschaftsideologie erfüllt, denn der Stoiker ist für jeden Herrscher ein idealer Staatsbürger. Von ihm sind keine Revolten zu befürchten. Veränderung ist nicht sein Thema. Sollte sich dennoch alles verändern, wird er sich als erster anzupassen wissen. Er ist konstruktiv und konstruiert selbst für den eklatanten Widerspruch Sinn und Harmonie. Er fügt sich ein und ordnet sich unter, bedürfnislos und anspruchsfrei, bereit, fürs Vaterland zu sterben. Und in allem ist er zudem noch glücklich und zufrieden und sorgt stets ganz allein dafür, daß das so bleibt.
Bezeichnenderweise sind die ersten Römer, die sich für die Stoa interessieren, Aristokraten und Vertreter der politischen Herrschaftselite[38]. Jedenfalls unterhält der Begründer der sog. »mittleren Stoa«, Panaitios aus Rhodos, beste Beziehungen zu diesen römischen Kreisen; und er schreibt sogar für sie. Und ein Cicero wird dann später vieles wörtlich von ihm abschreiben[39]. Am sinnfälligsten jedoch verbindet sich der ideologische Doppelcharakter der Stoa in ihrer späten Phase mit den Namen Epiktet und Mark Aurel. Der Sklave und der göttliche Kaiser - zwei Wortführer einer Lebensphilosophie. Das ist kein Irrtum, das ist die Stoa.
Das Ende der Harmonie
Eine solche Eintracht ist in der Gnosis nicht denkbar. Unter Gnostikern ist von dem, was die Stoa ausmacht, überhaupt nichts denkbar, es sei denn als Gegenstand einer radikalen und grundsätzlichen Kritik. Diese wird zu einem Zeitpunkt laut, der sich ähnlich genau bestimmen läßt wie die Geburtsstunde der Stoa. Mit der jüngeren Forschung[40] wird man davon auszugehen haben, daß »die Bewegung der Gnosis in der neutestamentlichen Zeit wuchs und sich entwickelte, Seite an Seite mit dem Christentum und in gewissem Maße im Austausch mit ihm.«[41] Damit aber bekommt für die Bewegung der Gnosis ein historisches Datum Bedeutung, das für das Römische Reich insgesamt von großer und nachhaltiger Wirkung ist und auch in Schriften des Neuen Testaments seinen Niederschlag findet: der Untergang der römischen Republik und die Errichtung einer kaiserlichen Militärdiktatur unter Oktavian. 31 ante Christum natum reichsrömischer Alleinherrscher, läßt er sich bereits vier Jahre später als der »göttliche Kaiser Augustus« verehren und verfügt schließlich über eine Macht, die selbst die des »göttlichen Alexander« weit überbietet. Folgenreich ist diese Entwicklung für das Imperium Romanum nicht nur darin, daß die soziale Hierarchie des Weltreiches durch das Kaiserhaus nun eine absolute Klimax erhält, die »die Positionen und Funktionen einzelner sozialer Schichten teilweise neu definiert«[42]. Folgenreich ist vor allem auch, daß »das als ›römisch‹ zu bezeichnende soziale Modell praktisch im ganzen Weltreich« durchgesetzt und »auch auf die Bevölkerung der Provinzen übertragen« wird[43]. Damit aber verschärfen sich die Widersprüche zwischen dem nunmehr allmächtigen Rom und seinen weitgehend gleichgeschalteten Kolonien und führen in letzteren zu einer Radikalisierung widerständiger Bewegungen.
Dieser Widerstand bricht nicht nur in bewaffneten Aufständen aus - wie dem Jüdischen Krieg, der 70 n.Chr. mit der Zerstörung des Jerusalemer Tempels endet. Er findet seinen Ausdruck auch in einer spezifischen Widerstandsliteratur - wie der Apokalyptik, die in der Gestalt der neutestamentlichen Johannes-Apokalypse eine dezidiert antirömische Auseinandersetzung führt[44]. Und er bringt sich in einer Weltanschauung zur Sprache, in der die Verwerfung der römischen Welt definitiv vollzogen wird in einer grundsätzlichen Verwerfung der Welt überhaupt - wie eben bei den Gnostikern, deren Weltverständnis so radikal negativ ist, daß die Welt und mit ihr also auch das römische Weltreich nur noch als »Reich der Finsternis« gesehen wird.
Die sich im 1. Jahrhundert n.Chr. etablierende und alsbald im gesamten Imperium Romanum ausbreitende gnostische Bewegung umfaßt eine Vielzahl von kleineren und größeren Gemeinschaften, deren Begründer bzw. Wortführer aus Texten ihrer frühchristlichen Gegner z.T. auch namentlich bekannt sind - wie etwa Simon (Magus), Satornil, Basilides, Karpokrates, Kerinth und Kerdon[45]. Dabei sind die Grenzen zwischen Christen und Gnostikern, zwischen der sog. »christlichen« und der sog. »paganen« Gnosis fließend, und noch heute gibt ihre genaue Verhältnisbestimmung zahlreiche Probleme auf[46], zumal gnostisches Denken ebenso wie die Auseinandersetzung mit der Gnosis bereits im Neuen Testament nachweisbar ist. Jedenfalls ist der Kampf der »antignostischen Väter« Irenäus, Tertullian und Hippolyt gegen die »gnostischen Häretiker« eine rein »innerkirchliche« Auseinandersetzung, die schon früher zu Exkommunikationen, wie die des einflußreichen Gnostikers Valentinus[47], führt und sogar zur Gründung einer eigenen christlichen »Gegenkirche« durch den Gnostiker Marcion, die im Osten immerhin bis ins 6. Jh. hinein Bestand hat[48]. Ein synkretistisches Christentum findet sich schließlich auch in den koptisch-gnostischen Nag-Hamadi-Schriften, unter denen wiederum und vielleicht auch bezeichnenderweise relativ viele Apokalypsen sind. Demgegenüber findet sich in den gnostischen Teilen des Corpus Hermeticum aus dem 2. bzw. 3. Jh. so gut wie kein Einfluß christlicher Traditionen, was auch insofern von Bedeutung ist, als es belegt, »daß Gnosis minus Christentum nichtsdestoweniger Gnosis ist und bleibt«[49]. Die gnostische Mythologie der Mandäer ist sogar dezidiert antichristlich und läßt den »falschen Propheten« Jesus zum Sohn einer Dämonin werden[50], während Jesus im Manichäismus wiederum göttliche Hoheitstitel erhält.
Entscheidend ist für das Verständnis der Gnosis aber nicht die Frage nach ihrer komplizierten Beziehung zu dem sich entwickelnden Christentum, entscheidend ist hier vielmehr die Frage nach der sich in den gnostischen Systemen artikulierenden Ideologie. Und diese Systeme sind erstaunlicherweise so homogen, daß sie auf die sie bestimmende Ideologie durchaus auch Rückschlüsse zulassen. Keine »Religion wirkt verwirrender in ihren Erscheinungsformen, keine Religion aber auch ist einfacher und monotoner in ihren Hauptmomenten als gerade die Gnosis«[51].
Das gnostische Drama
Der Stoa ist alles Dramatische fremd; denn der Stoiker hält sich von jeglicher Aufregung fern. Und wo er ihr nicht ausweichen kann, da sieht er von ihr ab oder umhüllt sie mit dem Mantel der Harmonie. Die sich mit der hellenistischen Globalisierung dramatisch zuspitzenden sozialen und politischen und kulturellen und auch ethnischen Widersprüche und Konflikte werden in der Stoa kategorisch ignoriert oder harmonisch interpretiert. In der Gnosis hingegen ist alles dramatisch, denn Harmonie kennen die Gnostiker nur in einer eschatologischen Perspektive. Und die geht auf ein Jenseits dieser Welt. Sie muß auch auf ein Jenseits gehen, weil diese Welt ein dämonischer Ort des Elends ist. Und dafür gibt es Gründe, die erkannt werden müssen, wie eben auch in jener eschatologischen Perspektive erkannt werden muß, wo für den Menschen die allein mögliche Rettung zu finden ist.
Erkenntnis, gnosis - das ist für die Gnostiker der alles entscheidende Existenzvorgang, in dem die Erlösung von und aus dieser Welt beschlossen liegt. Sie selbst nennen sich denn auch bewußt γνωστικοί, Erkennende, auch um ihrer Gewißheit Ausdruck zu geben, zu den Erlösten gehören zu dürfen. Diese Erlösung vollzieht sich im Rahmen eines gigantischen Weltendramas, das zu erkennen zur Erlösung selbst gehört.
Dieses Drama findet bei den einzelnen Gnostikern sehr unterschiedliche Entfaltungen. Anzahl und Namen und Rollen der in ihm (mit)wirkenden göttlichen und widergöttlichen Mächte und Gestalten ändern sich vielfach[52], doch das Sujet bleibt bei allen dasselbe und provoziert mit der blasphemischen These, daß diese Welt unmöglich die Schöpfung eines guten Gottes sei; daß der Mensch, d.h. seine unkörperliche und also unweltliche Seele, in dieser Welt nicht nur keine Heimat habe, sondern eigentlich auch gar nicht in dieses Reich der Finsternis, sondern in ein Reich des Lichtes gehöre; und daß ein wirklich guter Gott den Menschen aus diesem seinem Gefängnis durch einen Erlöser nur befreien könne.
Natürlich sind die Gnostiker dabei nun auch mit der hintergründigen Frage befaßt, wie es denn überhaupt zu einer solchen für den Menschen unwürdigen Situation kommen konnte. Simon (Magus), der schon in der Apostelgeschichte (8,9ff.) Erwähnung findet, trägt nach dem Bericht des Irenäus[53], der ihm nachsagt, der »Initiator« der Bewegung zu sein, folgende Gnosis vor:
Der (gute) Vater des Alls, die »höchste Kraft«, erzeugte »die Erste Ennoia (Gedanke) seines Geistes, die Mutter von allen, durch die er am Anfang in seinem Geiste den Plan gefaßt hatte, Engel und Erzengel zu erschaffen. Denn diese Ennoia trat aus ihm hervor, und da sie erkannte, was ihr Vater wollte, stieg sie zu den untersten Gegenden (ad inferiora) hinab und erzeugte Engel und Mächte, von denen ... auch diese Welt gemacht wurde. Nachdem sie aber diese erzeugt hatte, wurde sie von ihnen festgehalten aus Neid, weil sie ja nicht für die Nachkommen irgend jemandes gelten wollten.« Sie »fügten ihr jegliche Schmach zu, damit sie nicht hinauf zu ihrem Vater zurückeile, und dies ging so weit, daß sie sogar in einen menschlichen Körper eingeschlossen wurde und durch Jahrhunderte, gleichsam von Gefäß zu Gefäß, in immer andere weibliche Körper wanderte.« Sie »ging von einem Körper in den anderen über und erlitt dadurch immer Schmach. Zuletzt gelangte sie sogar in ein Bordell (in fornice prostitisse)«. »Deshalb kam auch er (scil. der Vatergott) selbst, um sie ... von den Fesseln zu befreien, aber auch um den Menschen das Heil zu bringen (salutem praestaret), dadurch, daß sie ihn (scil. in dem Simon) erkennen. Die Engel regierten die Welt schlecht, weil jeder von ihnen die Vorherrschaft begehrte.« »Darum sollen jene, die auf ihn ... ihre Hoffnung gründen, fürderhin sich nicht um jene (Engel) kümmern, sondern als freie Menschen« leben. »Deshalb, so versprach er, werde auch die Welt aufgelöst, und jene, die ihm zugehören, würden von der Gewalt der Weltschöpfer befreit.«[54]
So ähnlich spielt sich das Weltendrama auch in den anderen gnostischen »Systemen« ab, z.T. mit noch stärkerer Betonung des Dualistischen und Antagonistischen - wie bei Marcion, dessen böser Weltschöpfer als Demiurg nicht einmal eine Emanation des guten unbekannten Gottes ist, sondern ein »Gegengott«, womit auch der vom Demiurgen geschaffene Mensch von Hause aus nun nicht einmal mit seiner Seele dem Reich des ihn dennoch vom Demiurgen befreienden fremden guten Gottes angehört.[55]
Auch wenn andere »Systeme« eine noch weit verwickeltere Mythologie und Emanationstheorie entfalten, keinem der Gnostiker geht es lediglich um mythische Spekulation. Dafür sind die sich metaphorisch spiegelnden Konkretionen und Adversionen viel zu deutlich, und Simon (Magus) macht die Ennoia ja auch ganz bewußt zu einem Prototyp für jene Frau, der die Welt zur Hölle geworden ist. Der Gnosis geht es im Mythischen um den Menschen - und zwar um den unglücklichen, den erniedrigten und beleidigten. »Wer hat mich in das Leid der Welt geworfen, wer mich in die böse Finsternis versetzt?«[56] Das ist die eigentliche Frage der Gnosis, und ihr eigentliches Gewicht erhält diese Frage dadurch, daß sie gestellt und dann auch beantwortet wird in einem Zusammenhang, der nicht mythisch abstrakt und abstrakt existential bleibt, sondern einen konkret geschichtlichen, mithin also auch einen politischen und sozialen Horizont hat.
In diesen Zusammenhang gehört ganz unmittelbar die hartnäckige und nur vordergründig verstiegen wirkende Suche der Gnostiker nach einer Antwort auf die entscheidende Vor-Frage, warum denn nun diese Welt überhaupt mehr einer Hölle als einem Himmel gleicht. Unde malum - den Stoikern ist das kein Problem. Für sie ist das Böse nur eine Frage der Einstellung. Im Grunde ist für sie alles gut. Den Gnostikern hingegen ist im Grunde alles ein Übel. Und in dieser Generalisierung des Negativen steckt die eigentliche Antithese, mit der die Gnosis bewußt und ausdrücklich gerade auch die Stoa bekämpft.
Schon Hans Jonas weist auf diese Frontstellung hin[57], doch erst von Takashi Onuki wird sie an einem Text detailliert dargestellt[58].
Der Befund seiner Untersuchung zum koptisch-gnostischen Apokryphon des Johannes (AJ) ist eindrücklich, denn er belegt vor allem auch, wie umfassend sich die Gnosis mit der Stoa auseinandersetzt. Onuki zeigt das an einer mehrfachen Polemik: 1. gegen den stoischen Erkenntnisakt, der für den (die) Gnostiker des AJ nicht durch den »göttlichen Teil seiner Seele, sondern durch dämonische Kräfte beherrscht wird«[59]; 2. gegen die auf Aristoteles zurückgehende Lehre von den verschiedenen Qualitäten und Mischungsverhältnissen der Materie (Feuer, Luft, Wasser, Erde; warm, kalt, feucht, trocken etc.), die für die Stoa mit dem gestaltenden Wirken des göttlichen Logos, für den Gnostiker aber mit der unheilvollen Macht von Dämonen verbunden sind[60]; 3. in der Auseinandersetzung mit dem stoischen Verständnis der Affekte, die für den Gnostiker nicht nur Defizite sind, sondern dämonische Laster[61]; 4. gegen die stoische Kosmologie, in der die Gestirne mit dem theos letztlich identische Gottheiten sind, was der Gnostiker zurückweist, weil die Gestirne zwar das Feuer, nicht aber den Funken des göttlichen Lichtes haben[62]; 5. gegen die stoische Psychologie, der der Gnostiker bestreitet, daß die Planeten(götter) dem Menschen mehr als nur niedrige Fähigkeiten vermitteln können[63]; 6. gegen die stoische Anthropologie, in der die Seele als das den Körper des Menschen Bewegende letztlich weltimmanent gedacht wird, wogegen der Gnostiker einwendet, daß das Bewegende transzendenter Natur sei[64]; 7. schließlich und vornehmlich auch gegen die stoische Vorsehungslehre, und zwar dergestalt, daß der Gnostiker die Einheit von Pronoia und Heimarmene zerbricht und in einen prinzipiellen Dualismus führt, der die Heimarmene dämonisch degradiert und zur Folge hat, daß sie nunmehr »die Unbeständigkeit der materiellen Welt schlechthin vertritt«[65].
Es ist insbesondere die stoischen Vorsehungslehre, die für die Gnosis völlig inakzeptabel ist. Und mit der dualistischen Trennung von Pronoia und Heimarmene[66] kehrt sie die Anschauung der Stoa auch insofern in ihr Gegenteil, als sie den absolut positiven nunmehr mit einem absolut negativen Determinismus konfrontiert. Mit demselben Recht, mit dem da behauptet wird, alles sei gut, läßt sich auch sagen: alles ist schlecht. Aber es geht der Gnosis nicht nur um eine kontradiktorische These, es geht ihr, wie ja auch der Stoa, um die Implikationen und Tragweiten ihrer These, die also als solche, wie in der Stoa auch, nicht Ziel, sondern weltanschauliche Voraussetzung für ein Denken ist, das sich in einer Krise ideologisch zu bewähren versucht.
Bezeichnenderweise geschieht dies in der Stoa ebenso wie in der Gnosis im Rahmen einer universalen Perspektive, die jeweils Ausdruck einer globalen Herausforderung ist. Doch während die Stoa auf die griechische Globalisierung mit einem umfassenden und radikalen Akkommodationsprogramm reagiert, das seine Funktionsfähigkeit auch noch im Imperium Romanum zeigt, antwortet die Gnosis auf die imperialistische Globalisierung des Römischen Reiches mit einer ebenso umfassenden und radikalen Verweigerungstheorie, die schon als solche den Charakter des Widerständigen trägt.
Gnostiker sind keine guten Staatsbürger. Viele weigern sich, Kinder in diese Welt zu setzen. Weil sie das Elend nicht noch vermehren wollen, leben sie asketisch oder treiben ab[67]. Manche propagieren und leben sogar den Kommunismus, den sie mit dem Prinzip der Gerechtigkeit (δικαιοσύνη) in Gemeinschaft und Gleichheit (κοινωνία μεθ' ήσότητος) begründen[68]. Andere rühmen sich, an keine von Menschen gemachten Gesetz gebunden zu sein, und halten auch religiöse Vorschriften für problematisch[69]. Allen gemeinsam aber ist, daß ihre Verneinung dieser Welt nicht in einem bloßen Pessimismus steckenbleibt, sondern zum Angriff auf eine Welt wird, die sie für hoffnungslos verdorben halten. »Wer die Welt erkannt hat, hat einen Leichnam gefunden«.[70]
Jonas spricht denn auch zu Recht von der »revolutionären« Gnosis[71], auch wenn er dabei nun seinerseits den Begriff des Revolutionären betont akosmisch zu fassen versucht. Doch die »Revolution« der Gnostiker ist so akosmisch gar nicht, denn mit ihrer Entzauberung der Welt, mit dem Sturz der »bekannten Götter« stürzen sie zugleich einen der bekanntesten und nun wirklich auch mächtigsten Gottheiten ihrer Zeit: den römischen Kaiser.
Seitdem der sich in die Nachfolge seines griechisch-makedonischen Vorgängers Alexander begeben und sich gleich ihm zum »Gottessohn« hat erklären lassen, ist ein Widerspruch gegen Rom ein Sakrileg. Doch die Gnostiker begehen ständig Sakrilege und scheuen keine Blasphemie. Und indem sie die gesamte herrschende Götterwelt abschaffen und zu Archonten und Demiurgen degradieren, delegitimieren sie die Herrschaft des Imperium Romanum in einer nicht mehr zu überbietenden Radikalität.
Verständlich wird diese Radikalität vor dem Hintergrund des reichsrömischen Kaiserkultes, der die politische Herrschaftsfunktion hat, das Weltreich religiös-ideologisch zu einen, und deshalb auch ständig ausgebaut und mit Tempeln und Priestern in den letzten Winkel der »Provinzen« getragen wird. Seit »Augustus«, amtlich bestätigt, in den Himmel aufgefahren ist, ist die Cäsarenapotheose eine Institution - dominus et deus noster. Ein solches dominium aber stellt man nicht mit Kritik in Frage. Es läßt sich nur in seinen Fundamenten erschüttern, und die Gnostiker erschüttern diese religiösen Fundamente nicht nur, sie zerstören sie in ihrer religiösen Substanz.
Es ist schon erstaunlich, daß Hans Jonas diese Dimension der gnostischen »Auflehnung« und »Rebellion«[72] nicht einmal in Erwägung zieht, sondern fest entschlossen ist, den religionsgeschichtlichen Rahmen nicht zu verlassen. Damit aber geht auch eine zweite Dimension der gnostischen Umwertung verloren. Es trifft ja zu: In der Gnosis vollzieht sich »die weltgeschichtliche Ablösung der alten und mächtigen Vaterreligionen durch die Sohnesreligionen«, »der ›Mensch‹ oder der ›Sohn des Menschen‹ wird über die alten Götter erhoben und selber zum höchsten Gott oder zum Zentrum der Heilsreligion«[73]. Doch genau dieses bedeutet nun auch und gleichermaßen nicht nur eine radikale Emanzipierung, sondern auch eine ›religiöse Demokratisierung‹, deren polemische Spitze politisch durchaus erkennbar ist. Wenn es zum Privileg römischer Cäsarenherrschaft gehört, in den Götterhimmel aufsteigen zu dürfen, dann wird dieses Privileg und mit ihm die Herrschaft der Cäsaren wiederum radikal in Frage gestellt, wenn die Gnosis nun diese besondere Herrscher-Apotheose mit ihrer allgemeinen Menschen-Vergöttlichung konfrontiert. Auch wenn nicht ausnahmslos jeder ein Gnostiker sein oder werden kann, für die Gnosis ist Vergöttlichung jedenfalls kein Privileg römischer Kaiser. Im Gegenteil. Der Kaiser schafft es ohnehin nur bis zu Zeus, und der ist gar kein richtiger Gott und schon gar nicht ein guter. Und das heißt zugleich: Wenn alles Elend dieser Welt der Unfähigkeit und Bosheit schlechter Götter geschuldet ist, dann trägt im Prinzip Verantwortung dafür auch der »göttlichen Kaiser«.
Es gibt wohl kaum eine größere ideologischen Kluft als die zwischen dem Herrschaftsanspruch des Imperium Romanum und dem Widerspruch der Gnosis gegen eine Welt, die die Gnostiker gerade unter dieser Herrschaft für verloren halten. Gemessen an dem Gewicht dieser globalen Konfrontation und fundamentalen Opposition kann die Frage nach der sozialen Einordnung der Gnostiker durchaus in den Hintergrund treten, zumal es die Quellenlage ohnehin schwer macht, hier gesicherte Aussagen zu treffen[74]. Um so spannender ist dafür nun aber eine ganz andere Frage, nämlich die nach den ideologischen Hintergründen für die Bekämpfung der Gnosis durch die sich dezidiert antignostisch verstehenden Theologen und (Amts-)Träger der frühen christlichen Kirche, die sich in ihrer Entwicklung immer mehr der Stoa annähert und schließlich dort zu finden ist, wo sie neben Stoa und Gnosis, gleichwohl mit beiden auf unterschiedliche Weise bleibend verbunden, einen Weg beschreitet, der in seinen reformistischen Konturen den Charakter eines ›Dritten Weges‹ trägt. Doch das ist ein Thema für einen anderen Aufsatz.
[1] Diogenes Laertius VI 63, in der Übersetzung von O. Apelt, Leben und Meinungen berühmter Philosophen, 1921.
[2] Diogenes Laertius VI 63.
[3] Diogenes Laertius VI 19.
[4] Seit A. Schmekel, Die Philosophie der mittleren Stoa, 1892, hat sich allgemein durchgesetzt, von der ›frühen‹, ›mittleren‹ und ›späten Stoa‹ zu sprechen, wobei dann zur ›späten‹ im wesentlichen nur noch die ›römische Stoa‹ gerechnet wird.
[5] Eine vorzügliche und sehr detaillierte Übersicht - auch zur Literatur - bietet: P. Steinmetz, Die Stoa, in: H. Flachar (Hg.), Grundriß der Geschichte der Philosophie. Die Philosophie der Antike, Bd. 4,2: Die Hellenische Philosophie, 1994, S. 495-716.
[6] Noch immer eine der wichtigsten Sammlungen: Stoicorum Veterum Fragmenta I-III, hg. von J. Arnim, 1903-1905, IV (Indices), hg. von M. Adler, 1924, 21964 (= SVF). Vgl. auch: K. Hülser, Die Fragmente zur Dialektik der Stoiker. Neue Sammlung der Texte mit deutscher Übersetzung und Kommentaren, 4 Bde., 1987f. Für die ›römische Stoa‹ ist die Quellenlage zwar kompakter, doch dafür sind die Texte nicht mehr ganz so interessant, denn das Interesse der Römer zielt fast nur noch auf die Ethik.
[7] SVF I 85.
[8] Selbst Autoren, die sich vorwiegend einer systemimmanenten Interpretation verpflichtet wissen, kommen an solchen Zusammenhängen nicht vorbei; vgl.: E. Katsigiannopoulos, Die Grundlagen des Kosmopolitismus in der Stoa, 1979, S. 153ff.
[9] SVF III 5 u.ö.
[10] SVF III 13 (Cicero, de finibus IV 14).
[11] SVF III 16.
[12] SVF III 4.
[13] SVF I 176, II 580.
[14] SVF II 913.
[15] SVF II 1140.
[16] SVF II 1153.
[17] SVF II 1170: Die Natur hat so vieles und soviel Herrliches und Großes hervorgebracht, da ist unvermeidbar (κατὰ παρακολούθησιν) manches halt nicht so ganz gelungen.
[18] SVF II 1157.
[19] SVF I 537; Übersetzung nach: M. Pohlenz, Stoa und Stoiker. Die Gründer - Panaitios - Poseidonios, 1950, S. 104.
[20] SVF I 211.
[21] SVF III 412.
[22] SVF III 452 (Seneca, De clementia II 5).
[23] Mark Aurel, Selbstbetrachtungen XII 22, in der Übersetzung von A. Wittstock, 21969, S. 173.
[24] Epiktet, Diatriben III 17, zitiert nach: W. Weinkauf, Die Stoa. Kommentierte Werkausgabe, 1994, S. 146.
[25] SVF III 352.
[26] SVF III 355f.
[27] Diogenes Laertius VII 7f.
[28] P. Steinmetz, a.a.O., hat auch die politischen Aktivitäten der einzelnen Stoiker zusammengetragen, und der Befund ist eindrücklich.
[29] SVF I 230.
[30] Cicero, De officiis.
[31] SVF III 493.
[32] Mark Aurel, Selbstbetrachtungen, VI 2: »Bei der Erfüllung deiner Pflicht soll dir nichts darauf ankommen, ob du vor Kälte starrst oder vor Hitze glühst, ob du schläfrig bist oder genug geschlafen hast, ob man dich tadelt oder lobt, ob du darüber dem Tode nahekommst oder etwa anderes der Art zu leiden hast.«
[33] SVF III 697.
[34] SVF III 641.
[35] Vgl.: G. Alföldy, Römische Sozialgeschichte, 1975, S. 25.
[36] SVF II 724.
[37] SVF III 757.
[38] G. Alföldy, a.a.O., S. 54: Diese »griechische Philosophie erschien den aufgeschlossenen Aristokraten durchaus nicht als eine ideologische Gefahr, sondern als eine Möglichkeit, den Anspruch auf die Weltherrschaft und auf die eigene soziale Führungsposition durch ein ideologisches System zu legitimieren, das den neuen Zeiten adäquat war.«
[39] Vgl.: M. Pohlenz, Die Stoa. Geschichte einer geistigen Bewegung, 31948, S. 191ff.
[40] Hans Jonas geht in seinem epochemachenden Werk von 1934 davon aus, daß die Wurzeln der Gnosis weit in die Zeit der Diadochenreiche hineinreichen; H. Jonas, Gnosis und spätantiker Geist, 31964, S. 66. Wenn zwischen den ›Wurzeln‹ und der historisch faßbaren ›Bewegung‹ der Gnosis unterschieden wird, muß dieser These auch gar nicht widersprochen werden.
[41] R. M. Wilson, Artikel: Gnosis/Gnostizismus II, in: Theologische Realenzyklopädie, Bd. XIII, 1984, S. 536. Im Unterschied zur Stoa-Forschung haben sich der Gnosis denn auch vorwiegend Theologen und unter ihnen vor allem Exegeten des Neuen Testaments angenommen. Das hat inzwischen zwar zu einer sehr umfangreichen Literatur und zu wichtigen Editionen wie The Coptic Gnostic Library, aber weithin auch dazu geführt, daß das für H. Jonas noch entscheidende Interesse an einer geistesgeschichtlichen Systematik von exegetischen und bisweilen auch apologetischen Spezialinteressen verdrängt worden ist.
[42] G. Alföldy, a.a.O., S.83.
[43] Ebd.
[44] Vgl.: J. Ebach, Apokalypse. Zum Ursprung einer Stimmung, in: Einwürfe 2, 1985, S. 5ff.; K. Füssel; Im Zeichen des Monstrums. Zur Staatskritik der Johannes-Apokalypse, 1986.
[45] Vgl.: Irenaeus, adversus haereses I 23ff. Die Verfasserschaft der koptisch-gnostischen Nag-Hamadi-Texte und der gnostischen Teile der hermetischen Schriften bleibt demgegenüber weithin anonym.
[46] Vgl.: C. Colpe, Artikel: Gnosis II (Gnostizismus) in: Reallexikon für Antike und Christentum, Bd. XI, 1981, Sp. 540ff.
[47] Um 140 durch die Gemeinde in Rom (Irenäus, adv. haer. III 4,3).
[48] Sogar bis in die Gegenwart hinein haben sich im Irak die Mandäer, vermutlich eine jüdisch-gnostische Sekte des 1. Jh.s, erhalten. Und die synkretistisch-gnostischen Manichäer des 3. Jh.s sind in ihrer tausendjährigen Geschichte sogar eine Weltreligion geworden, deren gnostische Spuren sich noch in den mittelalterlichen Bewegungen der Bogomilen, Katharer und Albigenser zeigen.
[49] G. Quispel, Gnosis als Weltreligion. Die Bedeutung der Gnosis in der Antike, 31995, S. 52.
[50] K. Rudolph, Das Christentum in der Sicht der mandäischen Religion, in: Wissenschaftliche Zeitschrift Leipzig 7, 1957/58, S. 651ff.
[51] G. Quispel, a.a.O., S. 52.
[52] Leicht zugänglich sind entsprechende Texte in den Übersetzungen von: W. Foerster/A. Böhling (Hg.), Die Gnosis, Bd.1: Zeugnisse der Kirchenväter, 1969; Bd. 2: Koptische und mandäische Quellen, 1971; Bd. 3: Der Manichäismus, 1980; R. Haardt, Die Gnosis. Wesen und Zeugnisse, 1967; J.M. Robinson, The Nag Hammadi Library in English, 1977; W. Schneemelcher (Hg.), Neutestamentliche Apokryphen in deutscher Übersetzung, Bd. 1: Evangelien, 61990; Bd. 2: Apostolisches, Apokalypsen und Verwandtes, 61966.
[53] Irenäus, adv. haer. I 23,1-4.
[54] In der Übersetzung von R. Haardt, a.a.O., S. 34f. Vgl.: W. Völker, Quellen zur Geschichte der christlichen Gnosis, 1932, S. 2f.
[55] A. Harnack, Marcion. Das Evangelium vom fremden Gott, 1921, S. 31: Marcion redet »von dem fremden und guten Gotte, dem Vater Jesu Christi, der die ihm völlig fremden, elenden Menschen aus schwersten Banden zu ewigem Leben erlöst«.
[56] Ginza. Der Schatz oder das Große Buch der Mandäer, hg. und übersetzt von M. Lidzbarski, 1925, S. 457f.
[57] H. Jonas, a.a.O., u.a. S. 141ff.
[58] T. Onuki, Gnosis und Stoa. Eine Untersuchung zum Apokryphon des Johannes, 1989.
[59] Ebd., S. 19.
[60] Ebd., S. 27.
[61] Ebd., S. 52.
[62] Ebd., S. 70.
[63] Ebd., S. 90.
[64] Ebd., S. 93.
[65] Ebd., S. 139; vgl.: Jonas, a.a.O., S. 172f.
[66] Die Pronoia steht nun für das überweltliche göttliche Walten, das die Erlösung des Menschen aus dieser Welt und von diesem Weltschöpfer zum Ziel hat, während die dem Demiurgen beigeordnete Heimarmene zum Inbegriff des Weltlichen und also des Negativen wird.
[67] Letzteres nimmt die Ketzerpolemik dann zum Anlaß, wahre Horrorgeschichten zu verbreiten, - wie Epiphanius, Ende des 4. Jh.s Metropolit von Konstantia auf Zypern, in seinem »Panarion« (Arzneikasten), mit dem er gleich 80 Häresien kurieren will; Panarion haereses 26; 5,2ff.
[68] Clemens von Alexandrien, Stromata III 8,1 - aus der dem Epiphanes zugeschriebenen Schrift Über die Gerechtigkeit; Gerechtigkeit fehle dort, wo geschieden werde in »reich und arm, Volk und Herrscher, dumm und klug, weiblich und männlich, Freien und Sklaven« (III 6,1); vgl.: W. Völker, a.a.O., S.34f.; R. Haardt, a.a.O., S.58f.
[69] Brief des Ptolemaios an Flora bei Epiphanius, Panarion haereses. 33; 3ff.
[70] Thomasevangelium, NHCod II,2, Spr. 56; W. Schneemelcher (Hg.), a.a.O., Bd. 1, S.108.
[71] H. Jonas, a.a.O., S. 214ff. u.ö.
[72] H. Jonas, a.a.O., S. 218.
[73] Ebd., S. 219.
[74] Vgl.: C. Colpe, a.a.O., Sp. 600.
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