TOPOS 19

Hermann Klenner

Des Königs Universität und Hegels König.
Eine Bagatelle


Für Hans Heinz Holz, zum Fünfundsiebzigsten.[1]

Der Abdruck aller nachfolgenden Dokumente erfolgt aus den Repositorien des Geheimen Staatsarchivs Preußischer Kulturbesitz, Berlin-Dahlem (zuvor Merseburg). Rechtschreibung und Zeichensetzung wurden unter Wahrung des Lautstandes vorsichtig modernisiert.

I.

Altenstein an Hardenberg. Berlin, den 21. Februar 1818.

Euer Durchlaucht beehre ich mich, in der Anlage einen Immediat-Antrag wegen Berufung des Professor Hegel zu Heidelberg als Lehrer der Philosophie auf hiesiger Universität ganz gehorsamst zu übersenden. Ich habe darin meine Überzeugung erschöpfend ausgesprochen, daß ich hier nichts mehr anzuführen weiß, und mir schmeichle, auf Euer Durchlaucht kräftige Unterstützung des Antrags rechnen zu dürfen. Die Allerhöchste Entschließung in dieser Sache ist wirklich so dringend, daß ich mich verpflichtet halte, Euer Durchlaucht deren möglichste Beschleunigung ganz gehorsamst zu empfehlen, indem es in der Tat Not tut, die durch den Tod des Professors Fichte schon seit mehreren Jahren in der philosophischen Fakultät bestandene Lücke, endlich wieder auf eine würdige Art auszufüllen.

Altenstein

Anmerkungen

Verfasser: Karl Freiherr v. Stein zum Altenstein (1770-1840), seit 1817 preußischer Staatsminister für die Geistlichen, Unterrichts- und Medizinal-Angelegenheiten.

Empfänger: Karl August Fürst von Hardenberg (1750-1822), seit 1810 Königlicher Staatskanzler Preußens.

Mit der »hiesigen Universität« ist die 1810 gegründete Universität zu Berlin gemeint, deren »Vorläufiges Reglement« vom 24. November 1810 inzwischen durch ein am 31. Oktober 1816 von Preußens König bestätigtes »Statut« außer Kraft gesetzt worden war.[2]

Der erwähnte »An Seine Majestät den König« gerichtete und von Hardenberg gegengezeichnete Immediat-Antrag Altensteins vom 20. Februar 1818, Hegel zum Philosophieprofessor an Berlins Universität zu berufen, da dieser derzeit in Heidelberg lehrende Hegel als »Mann von reinstem Charakter und philosophischem Scharfsinn, der einzige [!] Gelehrte« sei, welchem der Philosophieunterricht an Berlins Universität anvertraut werden könne, zumal bei keinem anderen Lehrfache Reife und Gründlichkeit des Lehrers wichtiger sei als bei diesem, ist bereits von Lenz[3] sowie, um einen längeren Absatz gekürzt, von Nicolin[4] nachgedruckt worden, so daß hier der Hinweis auf diese beiden Quellen genügen mag. Vgl. auch Goethes Brief vom 1. Mai 1818 an Sulpiz Boisserée (1783-1854): »Hegel, vernehme ich, geht nach Berlin. Altenstein scheint sich eine wissenschaftliche Leibgarde anschaffen zu wollen«.[5]

Bereits zwei Jahre zuvor hatten übrigens Friedrich Ernst Daniel Schleiermacher (1768-1834) als Rektor der Berliner Universität und deren Senat dem zuständigen Minister vorgeschlagen, Hegel, den »großen Dialektiker«, auf den seit Fichtes Tod (29. Januar 1814) unbesetzt gebliebenen Philosophielehrstuhl zu berufen, allerdings erfolglos, da infolge des zögerlichen Verhaltens der Ministerien die Heidelberger Universität Hegel bereits »weggekapert« hatte - so Schleiermacher in seinem Brief vom 15. Oktober 1816 an Friedrich Heinrich Christian Schwarz (1766-1837). Vgl. den Abdruck des Berufungsvorschlags der Universität vom 1. April 1816 bei Lenz[6], bei Klein[7] sowie auszugsweise bei Nicolin[8]; ferner den sich anschließenden Briefwechsel zwischen dem zuständigen Minister, Kaspar Friedrich Freiherr von Schuckmann (1755-1834), und Hegel auf der Grundlage der von diesem angeforderten Selbstdarstellung als künftiger Philosophieprofessor, abgedruckt bei Hoffmeister[9].

Hegel selbst hatte sich übrigens bereits im Juli 1814 als Nachfolger Fichtes an Berlins Universität gesehen[10].

II.

Friedrich Wilhelm III. an Altenstein. Berlin, den 12. März 1818.

Ich will auf Ihren Antrag vom 20ten vorigen Monats die Berufung des Professors Hegel zu Heidelberg zum ordentlichen Professor der Philosophie bei der hiesigen Universität mit einem Gehalte von zweitausend Talern jährlich und Zusicherung einer Summe von 1000 Talern als Vergütung der Reise-, Umzugs- und Einrichtungskosten hiermit genehmigen.

Friedrich Wilhelm

Anmerkungen

Verfasser: Friedrich Wilhelm III. von Hohenzollern (1770-1840), seit 1797 König von Preußen.

Die Berufung Hegels erfolgte durch einen Erlaß des Königlichen Ministeriums der Geistlichen, Unterrichts- und Medizinal-Angelegenheiten vom 16. März 1818; sie erreichte ihn am 26. März des gleichen Jahres.

Der knapp fünfzigjährige Hegel übersiedelte aus dem Badischen nach dem Zehnmillionen-Staat Preußen, aus Heidelberg nach Berlin, einer Stadt von damals etwa 200 000 Einwohnern, für ihn »ein großer Mittelpunkt für sich«[11], zumal der gewöhnlichste Berliner Witz als Geistesprodukt mehr sei als die Sonne [12].

Seine Rede beim Antritt des philosophischen Lehramts, auf das ihn, wie er eingangs sagte[13], die Gnade seiner Majestät des Königs berufen habe, hielt Hegel am 22. Oktober 1818. Am selben Tag begann er seine insgesamt 27 Semester währende Lehrtätigkeit mit Vorlesungen über die Enzyklopädie der Philosophie sowie über Naturrecht und Staatswissenschaft.[14].

III.

Friedrich Wilhelm III. an Altenstein. Berlin, den 28. Juni 1828.

[…] Ich bestimme, daß die hiesige Universität den Beinamen »Friedrich-Wilhelms-Universität« erhalten soll.[…]

Friedrich Wilhelm

Anmerkungen

Die hier ausgelassenen Sätze der voranstehenden, auf einer Anregung Altensteins beruhenden Kabinettsorder beziehen sich ausschließlich auf die 1818 gegründete Universität zu Bonn.

Die lateinische Offizialbezeichnung der Universität lautete: Universitas litteraria Friderica Guilelma.

Auf Antrag des Senats der Berliner (bisherigen: Friedrich-Wilhelms-) Universität vom 26. Oktober 1948 verlieh Paul Wandel als Präsident der Deutschen Zentralverwaltung für Volksbildung in der damaligen Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands am 8. Februar 1949 der Berliner Universität den Namen »Humboldt-Universität«, was von Klein[15] dokumentiert wird. In der Tat basiert die Gründung der Universität Berlins auf einer Konzeption von Wilhelm von Humboldt (1767-1835).[16]

IV.

Altenstein an Friedrich Wilhelm III. Kissingen, den 21. August 1829.

An

des Königs Majestät.

 

Bei der diesjährigen Wahl des Rektors der Universität zu Berlin für das Jahr vom Herbste 1829 bis dahin 1830 ist die Mehrheit der Stimmen auf den Professor in der philosophischen Fakultät, Dr. Hegel gefallen. Da ich gegen diese Wahl, welche den Statuten der Universität gemäß geschehen ist, kein Bedenken habe, so bitte Ew. Königliche Majestät ich alleruntertänigst, den Professor Hegel zum Rektor der Universität in Berlin für das nächste Universitätsjahr huldreichst bestätigen zu wollen.

Altenstein.

Anmerkung

Bei der am 1. August 1829 statutengemäß abgehaltenen Wahlversammlung votierten von den insgesamt 36 Stimmberechtigten 17 für Hegel und 10 für den Nächstplazierten.

V.

Friedrich Wilhelm III. an Altenstein. Berlin, den 31. August 1829.

Auf Ihren Bericht vom 21. d[ieses] M[onats] will Ich die Wahl des Professors Dr. Hegel zum Rektor der hiesigen Universität für das nächste Universitätsjahr bestätigen.

Friedrich Wilhelm

Anmerkungen

Das in der ministeriell beantragten Wahlbestätigung Hegels vorkommende »will Ich« des Königs entsprach im Konkreten präzis der von Hegel im Abstrakten seiner Rechtsphilosophie[17] vorgenommenen Charakterisierung der fürstlichen Gewalt im Staat: In einer wohlgeordneten Monarchie habe der Monarch nur das subjektive »Ich will« der allein dem Gesetz gebührenden objektiven Seite hinzuzusetzen; die »Spitze formellen Entscheidens, […] das leere letzte Entscheiden,« mache die fürstliche Gewalt aus; bei einer vollendeten Organisation »braucht man zu einem Monarchen nur einen Menschen, der ›ja‹ sagt und den Punkt auf das i setzt«. - Es versteht sich, daß solche in allen seinen Berliner Naturrechts-Vorlesungen nachweisbaren, zuweilen mit seiner landesüblichen Majestätsrhetorik kontrastierenden Passagen Hegels Kritiker von rechts wie von links auf den Plan riefen: Den Monarchen als bloßen Jasager zu charakterisieren, heiße ihn zum Oberzeremonienmeister des Staates zu degradieren, sei also im Kern eine Aufforderung zu Empörung und Rebellion, entrüstete sich Schubarth[18] und denunzierte die Hegelianer direkt beim König, während andererseits Karl Marx des Hegels Interpretation des monarchischen »Ich will« als hochgestochenes L‹ état c‹est moi dekuvrierte und ihm vorwarf, daß er sich dem Vergnügen überlasse, »das Unvernünftige als absolut vernünftig demonstriert zu haben«[19].

Während Hegels Rektorat blieb erstmals die Stelle des Regierungsbevollmächtigten an der Berliner Universität unbesetzt, so daß er 1829/30 gleichzeitig dieses Amt wahrzunehmen hatte[20], was allgemein als ministerieller Vertrauensbeweis ihm gegenüber betrachtet wird. Das Amt eines »am Ort der Universität residierenden, außerordentlichen landesherrlichen Bevollmächtigten« war durch das im Rahmen der Karlsbader Beschlüsse am 20. September 1819 erlassene Universitäts-Gesetz geschaffen worden, durch dessen § 1 der Bevollmächtigte verpflichtet wurde, »den Geist, in welchem die akademischen Lehrer bei ihren öffentlichen und Privatvorträgen verfahren, sorgfältig zu beobachten«[21].

Hegels am 18. Oktober 1829 selbstbewußt und in Latein gehaltene Rede beim Antritt seines Rektorats, die er auf Anforderung am 9. November 1829 Altensteins Ministerium einreichte, findet sich im Bd. 20 der Jubiläumsausgabe seiner Sämtlichen Werke[22].

Der Höhepunkt seines Rektoratsjahres, in dem er Woche für Woche acht bzw. neun Stunden Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie und die Philosophie der Natur sowie über Psychologie, Anthropologie, Logik und Metaphysik hielt, war seine im Auftrag des Senats der Universität und im Beisein des von ihm eingeladenen Altenstein[23] am 25. Juni 1830 wiederum lateinisch gehaltene Rede zur Dritten Säkularfeier der von ihm als Magna Charta protestantischer Freiheit wie als Beleg für Luthers Umstürzlertum (seditio!) charakterisierten, angeblich jeglichem Aberglauben abholde Confessio Augustana[24]. Während der Universitäts­feierlichkeiten zum Konfessions-Jubiläum wurde übrigens auf einstimmigen Beschluß der Philosophischen Fakultät Wilhelm von Humboldt zum Doctor honorarius ernannt.[25]

Zum Nachfolger Hegels als Rektor der Berliner Universität wurde termingerecht der bedeutende Altphilologe August Böckh (1785-1867) gewählt, was Hegel dem Ministerium am 13. August 1830 mitteilte. Er selbst war froh, das Rektorat losgeworden zu sein, auch wenn es ihm »Geld und Ehre« eingebracht habe, was - in dieser Reihenfolge! - seine Frau Marie wohl zu würdigen wußte.[26]

VI.

Albrecht an Klenze. Berlin, den 2. Oktober 1829.

Der hiesige Bildhauer Herr Simony hat eine sehr schöne Büste von des Königs Friedrich II. Majestät und eine ebenso wohlgeratene von des jetzt regierenden Königs Majestät mit sehr geschmackvollen Postamenten in Gips angefertigt, welche beide Büsten Se[ine] Majestät der hiesigen Universität zur Aufstellung im großen Hörsaal verehren wollen, wenn sie dort angemessen Platz finden, wie Herr Simony mich dessen versichert hat. Ew. Magnifizenz bitte ich diesfällige Auskunft zur weiteren diesfälligen Besorgung.

Albrecht

Anmerkungen

Verfasser: Daniel Ludwig Albrecht (1765-1835), seit 1810 bis kurz vor seinem Tod Mitglied des Königlichen Geheimen Cabinets in Preußen.

Empfänger: Clemens August Karl Klenze (1795-1838), Schüler des Hegel-Gegners und Königs-Vertrauten, des Mitglieds des preußischen Staatsrats Friedrich Carl von Savigny (1779-1861); seit 1826 ordentlicher Professor der Rechte in Berlin, Vorgänger Hegels im Rektoratsamt und unter ihm Prorektor.

Julius Simony (bis 1810: Simon), Bildhauer, Schüler Schadows, 1785 in Berlin geboren und 1835 ebenda gestorben; von seinen etwa einhundert Büsten und Statuen (u. a. darstellend: Alexander von Humboldt, Hardenberg, Gneisenau, Friedrich Wilhelm III. sowie dessen Sohn Prinz Karl) haben sich nur wenige erhalten.[27]

Friedrich II. von Hohenzollern, der sogenannte Große (1712-1786), seit 1740 König in Preußen, seit 1772 König von Preußen.

VII.

Klenze an Albrecht. Berlin, den 14. Oktober 1829.

Ew. Hochwohlgeboren verfehle ich nicht, auf das geehrte Schreiben vom 2. Oktober und nach Mitteilung desselben an den akademischen Senat, ganz gehorsamst zu erwidern, daß die hiesige Universität alle Zeichen königlicher Gnade, womit sie ihr erhabener Stifter auszeichnet, dankbarlichst anerkannt hat und somit auch die beiden jetzt durch Ew. Hochwohlgeboren angetragene Büste des Königs Friedrich II. und unseres jetzt regierenden Herren, Majestät, von Simony, mit dem untertänigsten Dank umsomehr annehmen wird, als sie zwei bis jetzt ganz leer stehende Nischen im großen Saale passend ausfüllen werden.

Indem ich dies Namens des Senats Ew. Hochwohlgeboren zu erwidern mir die Freiheit nehme, benutze ich die Gelegenheit, mich in aufrichtiger Ehrerbietung und Ergebenheit zu empfehlen.

Ew. Hochwohlgeboren

ganz gehorsamster Diener

Klenze d. Z. Rector

VIII.

Simony. Berlin, den 21. Oktober 1829.

Acht und zwanzig Friedrichs d´or für zwei Gips Postamente nebst zwei Büsten Sr. Majestät des Königs und des Hochseligen Königs Friedrich II. sind mir unter heutigem Datum von Sr. Hochwohlgeboren, dem Herrn Geh. Cabinets Rat Albrecht bar und richtig gezahlt worden, worüber hiermit gehorsamst dankend quittiere

Simony

Anmerkungen

Auf Weisung von Albrecht hatte Simony die Postamente samt Büsten direkt an die Universität geliefert.

Friedrichdor - zwischen 1750 und 1855 geprägte preußische Goldmünze im Werte von 5 Talern.

IX.

Hegel an Albrecht. Berlin, den 1. November 1829.

Ew. Hochwohlgeboren

ermangele ich nicht unter Bezugnahme auf dero verehrtestes Schreiben vom 20. v. M. gehorsamst anzuzeigen, daß der Bildhauer Herr Simony dem erhaltenen Auftrage gemäß die beiden Büsten, welche Sr. Majestät der hiesigen Universität zu bestimmen geruht haben, abgeliefert und die Aufstellung derselben mit den Piedestalen in dem großen Hörsaale des Universitäts-Gebäudes und zwar in den aufs passendste dazu geeigneten Nischen desselben, die sich zu den beiden Seiten des großen Katheders befinden, bewerkstelligt hat. Der Senat hat sich von dem tiefsten Danke durchdrungen gefühlt bei dem erhebenden Anblicke dieses neuen eben so gnädigen als für die Universität ehrenvollen Zeichens der hohen Huld Sr. Majestät. Derselbe hat mir aufgegeben Ew. Hochwohlgeboren ganz gehorsam zu ersuchen, der Dolmetscher unsrer dankerfüllten Empfindungen über die uns allergnädigst verliehene Gegenwart des persönlichen Bildes Sr. Majestät unter uns, bei Sr. Majestät gütigst sein zu wollen und Allerhöchstdenselben zugleich die ehrerbietigsten Gefühle der Aufforderung zu Füßen zu legen, welche durch dies neue Merkmal der ununterbrochen sich betätigenden Gnade Sr. Majestät gegen die hiesige Universität in uns gelegt ist, unsern Pflichten Allerhöchstdero erhabenen Absichten gemäß mit unausgesetztem Eifer nachzukommen und unsere tief empfundene Anhänglichkeit an Se. Majestät auf alle Weise zu bewähren.

Ich entledige mich hiebei noch der angenehmen Pflicht, Ew. Hochwohlgeboren aufmunterndem Wohlwollen die Universität gehorsamst zu empfehlen und erlaube mir die Gesinnungen der tiefen Verehrung auszudrücken, in welcher ich verharre

Ew. Hochwohlgeboren

ganz gehorsamer.

Hegel

der Zeit Rector der hies. Friedrich-

Wilhelms Universität.

Anmerkungen

Immerhin hat Hegel das voranstehende Kotauschreiben, mit dem sich der Universitäts-Senat für das Büstengeschenk in einer dem Hofzeremoniell gemäßen Form bedankt, wenn auch nicht ge-, so doch unterschrieben. Sein Abdruck erfolgt aus den im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, Berlin-Dahlem, aufbewahrten »Acta des Königl. Geheimen Cabinets betr. die verschiedenen Angelegenheiten und das Personal der Friedrich-Wilhelms-Universität in Berlin«, Repositur 89.

Am 18. Januar 1831 verlieh Friedrich Wilhelm III., »von Gottes Gnaden König von Preußen«, dem Universitätsprofessor Hegel den im Verhältnis zum Schwarzen Adler-Orden zweitrangigen Roten Adler-Orden, und zwar III. Klasse[28]. Altenstein hatte Hegel zuvor schon mehrfach, freilich vergeblich, für diese Ehrung mit der Begründung eingereicht, er sei »der ausgezeichnetste Philosoph seiner Zeit […] und Stifter eines eigenen Systems von unvergänglichem Wert«.

Ende April 1831 veröffentlichte die Allgemeine preußische Staatszeitung anonym und von der Redaktion leicht entschärft den ersten Teil von Hegels politischer Abhandlung »Über die englische Reformbill«[29]. Der Abdruck des zweiten (kleineren) Teils »durfte auf Königl. Befehl nicht fortgesetzt werden«[30].

Mitglied der von Leibniz (1646-1716) in Preußens Hauptstadt gegründeten (und bis in die Jetztzeit fortbestehenden) Akademie der Wissenschaften ist er nie geworden, obwohl Altenstein ihm mehrfach die Zuwahl in Aussicht gestellt hatte[31]. Lieber hätten Savigny und Schleiermacher die Akademie aufgelöst, als den Erzdialektiker mit ihnen akademisch gleichgestellt zu sehen.[32]

X.

Die Studierenden an Friedrich Wilhelm III. Berlin, den 15. 11. 1831.

Allerdurchlauchtigster

Großmächtigster König!

Allergnädigster König und Herr!

Die Studierenden hiesiger Universität wünschen ihren vorgestern verschiedenen, innig geliebten und unvergeßlichen Lehrer, dem Herrn Professor Hegel die letzte Ehre auf feierliche Weise zu erzeigen. Da nun das Leichenbegängnis schon heute Abend stattfinden wird, und uns die Zeit gebricht, die zu der Feierlichkeit erforderliche Allerhöchste Erlaubnis in der üblichen Form einzuholen, so wagen wir es, Ew. Königliche Majestät die alleruntertänigste Bitte zu Füßen zu legen:

»daß uns verstattet sein möge, der Leiche unsers teuern Lehrers mit Musik und Fackel zu folgen.«

Indem wir der Erfüllung unseren Bitte vertrauensvoll entgegen sehen, ersterben wir

Ew. Königlichen Majestät

alleruntertänigst.

Die Studierenden hiesiger

Universität.

Anmerkungen

Während Hegels Rektorat waren an Berlins Universität etwa 1750 Studenten immatrikuliert, darunter 250 an der Philosophischen Fakultät.

Der zweiundsechzigjährige Hegel war am Montag, dem 14. November 1831, um 1715 Uhr in seiner Berliner Wohnung, Am Kupfergraben 4, überraschend gestorben[33]. Es war der Todestag von Leibniz. Noch am Freitag der Vorwoche hatte er seine zwei Vorlesungsstunden (über Rechtsphilosophie und über Philosophiegeschichte) gehalten und überdies am Sonnabend Abend auf der Universität examiniert[34]. Als Todesursache wurde damals Cholera angenommen[35], daher die übereilte Bestattung.

Der Juristenprofessor an Berlins Universität Eduard Gans[36], produktivster Schüler von Hegel und späterer Lehrer von Marx, veröffentlichte am 1. Dezember 1831 in der Allgemeinen Preußischen Staatszeitung einen Nekrolog[37] und plante die Ausarbeitung einer Hegel-Biographie.

Bereits am 24. Dezember 1831 wurde zwischen einerseits den Erben Hegels und einem kleinen Kreis seiner Freunde (nämlich: Marheineke, Johannes Schulze, Michelet, Hotho, Henning, Förster und Eduard Gans) sowie andererseits der Berliner Buchhandlung Duncker & Humblot ein förmlicher Verlagsvertrag zur Gesamtausgabe von Hegels Werken abgeschlossen[38]. Die 18 Bände der ersten Auflage dieser sogenannten Freundesvereins-Ausgabe erschienen zwischen 1832 und 1842.

Kommentar Friedrich Wilhelm III., des preußischen Königs zum Tode Hegels: »Wieder ein berühmter Philosoph gestorben - immer eine andere Philosophie - zu meiner Zeit Kant«.[39]


[1] Als kleines Zeichen eines großen Dankes für jahrzehntelange Freundschaft - klein, wie es einem Juristen gegenüber einem Philosophen respektvoll geziemt.

[2] Vgl.: Max Lenz, Geschichte der königlichen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin, Bd. IV, Halle 1910 (zum Ganzen auch Bd. II/1, a.a.O.) und Helmut Klein (Hg.), Humboldt-Universität zu Berlin. Dokumente, Berlin 1985, S. 9ff.

[3] M Lenz, a.a.O., Bd. IV, S. 334f.

[4] Günther Nicolin (Hg.), Hegel in Berichten seiner Zeitgenossen, Hamburg 1970, S. 168f.

[5] Goethe, Briefe (Hamburger Ausgabe), Bd. 3, München 1988, S. 428.

[6] M Lenz, a.a.O., Bd. IV, S. 323.

[7] H. Klein, a.a.O., S. 14.

[8] G. Nicolin, a.a.O., S. 121.

[9] Johannes Hoffmeister (Hg.), Briefe von und an Hegel, Hamburg 1969-1981, hier Bd. I, S. 96, 111, 123, 397.

[10] Ebd., S. 31.

[11] Ebd., S. 197.

[12] G. Nicolin, a.a.O., S. 446.

[13] Hegel, Berliner Schriften, Hamburg 1997, S. 43.

[14] Vgl. J. Hoffmeister, a.a.O., Bd. II, S. 177 u. 180, sowie Bd. IV/1, S. 114-125: Zusammenstellung aller Vorlesungs-Ankündigungen Hegels an Berlins Universität.

[15] H. Klein, a.a.O., S. 82.

[16] Vgl. dessen Gesammelte Schriften (Akademie-Ausgabe), Bd. 10, Berlin 1903 (Nachdruck: Berlin 1968), S. 139-160, 250-273.

[17] Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts [annotierte Edition], Berlin 1981, S. 322-329, 528-531.

[18] Abgedruckt bei Manfred Riedel (Hg.), Materialien zu Hegels Rechtsphilosophie, Frankfurt 1975, Bd. 1, S. 254, 256.

[19] MEGA, I/2, S. 27f., 35.

[20] Vgl. J. Hoffmeister, a.a.O., Bd. III, S. 315.

[21] Abgedruckt in: Ernst Rudolf Huber (Hg.) Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 1, Stuttgart 1978, S. 101.

[22] Stuttgart 1930, S. 521-527.

[23] J. Hoffmeister, a.a.O., Bd. III, S. 306.

[24] Hegel, Berliner Schriften, a.a.O., S. 429-442.

[25] H. Klein, a.a.O., S. 18.

[26] G. Nicolin, a.a.O., S. 425.

[27] Vgl. Peter Bloch (Hg.), Ausstellungskatalog: Ethos und Pathos. Die Berliner Bildhauerschule 1686-1914, Berlin 1990, S. 300-302.

[28] J. Hoffmeister, a.a.O., Bd. IV/1, S. 131.

[29] Hegel, Berliner Schriften, a.a.O., S. 443-489.

[30] G. Nicolin, a.a.O., S. 498.

[31] J. Hoffmeister, a.a.O., Bd. II. S. 170, 179, 449; Bd. III, S. 256, 440.

[32] Vgl. Hermann Klenner, Hegels Berliner Alternativakademie, in: Sitzungsberichte der Leibniz-Sozietät, 3 (1995) 3, S. 49-60.

[33] Karl Rosenkranz, Hegels Leben [1844], Darmstadt 1998, S. 422.

[34] G. Nicolin, a.a.O., S. 480, 499.

[35] Vgl. Olaf Briese, Marie Hegel und die Cholera in Berlin, in: Berlinische Monatsschrift, 7 (1998), 11, S. 20-28.

[36] Vgl. TOPOS 1, 1993, S. 123-148.

[37] G. Nicolin, a.a.O., S. 490-496.

[38] Bei J. Hoffmeister, a.a.O., Bd. IV/1, S. 132b-132e.

[39] Weitere Literatur:

Horst Althaus, Hegel oder die heroischen Jahre der Philosophie, München 1992;
Shlomo Avineri, Hegels Theorie des modernen Staates, Frankfurt 1976;
Wilhelm R. Beyer, Denken und Bedenken. Hegel-Aufsätze, Berlin 1977;
Ernst Bloch, Subjekt - Objekt. Erläuterungen zu Hegel, Berlin 1951;
Adolf Harnack, Geschichte der königlichen Preußischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin, Bd. 1-3, Berlin 1900;
Jacques D‘Hondt, Hegel in seiner Zeit, Berlin 1984;
Christoph Helferich, Hegel, Stuttgart 1979;
Rolf Hocevar, Hegel und der preußische Staat, München 1973;
Hans Heinz Holz, Herr und Knecht bei Leibniz und Hegel, Neuwied 1968;
ders., Einheit und Widerspruch. Problemgeschichte der Dialektik in der Neuzeit, Bd. 3 [Hegel; Marxismus], Stuttgart 1997;
Rolf Hosfeld, Hegel, Berlin 1988;
Hermann Klenner, Preußische Eule oder gallischer Hahn. Hegels Rechtsphilosophie zwischen Revolution und Reform, in: Sitzungsberichte der Akademie der Wissenschaften der DDR, Nr. 1 G, Berlin 1982, S. 125-137;
ders., Deutsche Rechtsphilosophie im 19. Jahrhundert, Berlin 1991, S. 141-155: »Hegel und die Götterdämmerung der Absolutismus«;
Domenico Losurdo, Hegel und das deutsche Erbe, Köln 1989;
Hans-Christian Lucas/Otto Pöggeler (Hg.), Hegels Rechtsphilosophie im Zusammenhang der europäischen Verfassungsgeschichte, Stuttgart 1986, S. 257-385: »Hegel und Preußen«;
Karl Marx, Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie [1843], in: MEGA, Bd. I/2, Berlin 1982, S. 3-137;
Terry Pinkard, Hegel: A Biography, Cambridge 2001;
Otto Pöggeler (Hg.), Hegel in Berlin, Wiesbaden 1981;
Anthony Quinton, Springtime for Hegel, in: The New York Review of Books, XLVIII, 2001, No 10, S. 78-80;
Kurt Steinhauer, Hegel. Bibliographie, München 1980; Charles Taylor, Hegel, Frankfurt 1983;
Franz Wiedmann, Hegel in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten, Reinbek 1986. 

[Copyright bei Edizioni La Città del Sole/Napoli]

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