Weltgeschichte
Inhalt
AUFSÄTZE
Hans Heinz Holz: Das Zeitalter der Weltgeschichte
Volker Bialas: Columbus 1492 - Beginn einer neuen Weltordnung
Domenico Losurdo: Marx und die Geschichte des Totalitarismus
András Gedö: Schicksal versus Geschichte
DISKUSSION
Gianfranco Pala: Weltmarkt, Arbeitsorganisation und proletarischer Internationalismus
AUS DEN ARCHIVEN
Hermann Klenner/Gerhard Oberkofler: Zwei Voten Savignys über Eduard Gans, erläutert und mit einer Bibliographie
LITERATUR UND FORSCHUNG
Hans Heinz Holz: Geschichtsphilosophische Perspektiven der Ästhetik: Das kunsttheoretische Konzept von Thomas Metscher
Editorial
Philosophie ist das Bemühen, mit dem Blick auf die Vermittlung der mannigfaltigen Einzelheiten zum Ganzen sich in der Welt und vorab im Denken zu orientieren. Indem sie den Ort zu bestimmen versucht, in den sich die Reflexion sammelt, und damit zugleich auch das Verhältnis unterschiedener Reflexionszentren zueinander festlegt, ist sie eine Topologie der Welt, die sich im System der Begriffe ausdrückt. Philosophie, die sich ihrer weltanschaulichen Rolle entschlagen und in vorgeblicher Bescheidenheit bloße Methodologie oder Hilfsmittel der Einzelwissenschaften sein möchte, hat sich selbst und ihre gesellschaftliche Bedeutung aufgegeben. Denn sich in der Welt und im Denken orientieren, heißt in letzter Konsequenz, Sinnfragen stellen, die nicht ohne Beziehung auf eine Modellvorstellung des Ganzen, des Gesamtzusammenhangs gestellt werden können. Wir leben in einer Zeit welthistorischer Veränderungen. Geschichte ist zwar immer der Übergang von einer Stufe der Entwicklung der Menschheit zur nächsten, und also ist jede Periode eine Transitionsperiode, »nie in Ruhe, immer in fortschreitender Bewegung begriffen«; wohl aber gibt es verschiedene Rhythmen und Tempi des Geschehens, und die Beschleunigung der wissenschaftlich-technischen Revolution wie auch der weltweiten Anpassung der Organisation von Produktions- und Verkehrsformen erlaubt es, Hegels Satz, »daß unsere Zeit eine Zeit der Geburt und des Übergangs zu einer neuen Periode ist«, auf die Gegenwart zu übertragen. Die erste Phase dieses Prozesses stand im Zeichen des alle Verhältnisse beherrschenden weltpolitischen Gegensatz zweier antagonistischer Gesellschaftssysteme. In der Auseinandersetzung zwischen den kapitalistischen und den sozialistischen Staaten schien sich der Übergang zu dem »Gebilde der neuen Welt« zu vollziehen. Mit dem Scheitern des Versuchs, in der Sowjetunion eine sozialistische Gesellschaft aufzubauen und in Konkurrenz zum Kapitalismus selbständig zu entwickeln, ist diese erste Phase abgeschlossen. Die nächste Phase, in die Wir eingetreten sind, ist durch die weltweite Dominanz der Kapitalmetropolen und des in ihnen realisierten Standes der kapitalistischen Produktionsverhältnisse charakterisiert. In dieser Epoche welthistorischer Veränderungen ist eine grundsätzliche Bestimmung des geschichtlichen Ortes, an dem wir uns befinden, der Tendenzen, die in die Zukunft weisen, der Gefahren, die uns bedrohen, und der Widersprüche, in die wir uns verwickelt haben, eine dringende Aufgabe der Orientierung im Denken. Das theoretische Instrumentarium von Konzepten und Utopien, von Kategorien und Methoden, das uns die klassische dialektische Philosophie, nicht nur in der griechisch-okzidentalen Tradition von Heraklit und Aristoteles über Descartes und Leibniz bis zu Hegel und Marx, sondern auch in nicht-europäischen Kulturen bereitgestellt hat, ist ein unverzichtbarer Bestandteil der Denkmittel, mit denen wir unsere aktuelle Gegenwart erfassen. Mit diesem Schatz zu arbeiten, ihn weiterzuentwickeln und neue Wege in unserer heutigen unübersichtlichen Lage zu erforschen, ist das Ziel von TOPOS.
TOPOS soll die Gesellschaft, die Kultur, die Wissenschaft mit dem Blick auf ihren Zusammenhang behandeln. Isoliert zeigen die Phänomene nicht ihren Sinn. Orientierung setzt voraus, daß der Horizont des Ganzen erfaßt wird. Darum ist Universalität in der Problemstellung und Internationalität der Autorenschaft das programmatische Ziel von TOPOS. Nur in der Begegnung und Bündelung der Gedanken und Projekte aus aller Welt und in der wechselseitigen Deutung der Perspektiven verschiedener Kulturen werden die geistigen Initiativen entstehen, die die vor uns liegende neue Etappe der Menschheitsgeschichte bestimmen. Dazu soll TOPOS mit Kritik und Antizipation einen Beitrag leisten.
Der Titel des ersten Heftes, WELTGESCHICHTE, könnte über dem gesamten Unternehmen dieses Periodicums stehen. Denn es geht darum, mit langem Atem und in immer neuen Anläufen die geschichtliche Lage, in der wir uns befinden, philosophisch zu begreifen und aus dem Begriff die Zielvorstellungen zu entwickeln, an denen wir gesellschaftlich-geschichtliches Handeln ausrichten können. In diesem Sinne verweisen die Beiträge dieses Heftes auf Probleme, die auch in zukünftigen Heften wiederkehren werden: Die neue Verfassung einer Welt, die zum erstenmal in der Geschichte der Menschheit zu einer ganz und gar interdependenten Einheit zusammengewachsen ist, wird in den Aufsätzen von Hans Heinz Holz und Gianfranco Pala angesprochen, der historische Wendepunkt von Volker Bialas benannt und illustriert. Die Subsumption aller Lebenserscheinungen unter die Form eines ökonomischen Verhältnisses läßt zugleich mit der Demokratie in der bürgerlichen Gesellschaft auch totalitäre Herrschaftsausübung entstehen - und dieses von Domenico Losurdo dargestellte Phänomen wird sich als Kernfrage nach dem Charakter von Demokratie in modernen Massengesellschaften erweisen. Eine rationale Theorie von Geschichte, die Andräs Gedö in Kontinuität seiner Arbeiten zur Kritik der bürgerlichen Ideologie gegen alle modernen bzw. postmodernen Irrationalismen verteidigt, ist eines der zentralen Motive, die unsere zukünftige Arbeit leiten.
Besonders freuen wir uns, einen aufregenden Fund aus der deutschen Geistesgeschichte des 19. Jahrhunderts zugänglich machen zu können. Hermann Klenner und Gerhard Oberkofler haben zwei bisher nicht bekannte Stellungnahmen Savignys zur Berufung von Eduard Gans an die juristischen Fakultät der Berliner Universität ausgegraben. Der Inhalt dieser Gutachten ist ein bedeutungsvolles Indiz für die Geisteshaltung, die die deutsche Geschichte der letzten 150 Jahre wesentlich mitbestimmte und an die in Augenblicken wiederaufkommender rassistischer Vorurteile zu erinnern nicht nur historisch interessiert, sondern aktuell bedrängend ist. TOPOS wird auch weiterhin die Spalte Aus den Archiven pflegen, in der unbekannte Dokumente aus der Geistesgeschichte publiziert werden sollen.
TOPOS soll in jeder Nummer um ein Zentralthema komponiert werden. Dabei hoffen wir, daß Autoren und Leser uns durch Vorschläge und Manuskriptzusendungen unterstützen und unser Blickfeld erweitern. Ein internationaler Beirat, dessen Zusammensetzung wir im nächsten Heft mitteilen werden, wird uns Anregungen geben und bei der Beurteilung eingereichte Arbeiten mitwirken.
Es bleibt, zu Beginn unseres Unternehmens, noch Dank zu sagen: Den beiden Institutionen, deren Beteiligung an der Herausgabe von TOPOS unsere Arbeit fördert und erleichtert, dem Istituto Italiano per gli Studi Filosofici und der Fondazione Centro di Studi Filosofici S.Abbondio; und Professor Anton Stankowski, der uns in freundschaftlicher Verbundenheit das Signet entworfen hat - ein Zeichen der Dialektik von Einheit und Gegensatz, von Umkehrung und Spiegelung.