TOPOS 2

Demokratie


Inhalt

AUFSÄTZE

Ingetrud Pape: Macht und Geist - Anthropologische und metaphysische Perspektiven

Alberto Burgio: Der Herr, der Knecht und die Plebs. Hegel zwischen knechtischer Arbeit und Massenarbeitslosigkeit.

Klaus von Raussendorff: Demokratie und Militär

Volkmar Schöneburg: Gustav Radbruch - Demokratie und Rechtsstaat

Hans Heins Holz: Wolfgang Abendroth - Demokratie als Sozialismus

DISKUSSION

Hanfried Müller: In Ost und West gegen den deutschen Imperialismus

AUS DEN ARCHIVEN

Wiederherstellung der Demokratie? - Deutsche Philosophen über Arnold Gehlen

LITERATUR UND FORSCHUNG

Roberto Finelli: Liberalismus, Kommunitarismus und Diskursethik in den achtziger Jahren

Leonhard Froese: Demokratie - Christentum - Sozialismus


Editorial

Die bürgerlich-demokratische Staats- und Gesellschaftsauffassung ist, in Varianten, die weltweit herrschende Ideologie der Gegenwart. Zugleich zeigt aber auch die staatliche und gesellschaftliche Wirklichkeit, daß die politischen Formen, in denen die demokratischen Gesellschaften existieren, von der Ideologie der Demokratie als des Systems der Selbstbestimmung der Bürger, der regulierten kollektiven Entscheidungsgewalt oder einfach der »Herrschaft des Volks« weit entfernt sind. Die demokratischen Staaten erfüllen den Anspruch ihres eigenen Selbstverständnisses nicht. Das hängt eng damit zusammen, daß die bürgerliche Gesellschaft mit ihrer Fixierung auf das Eigentumsrecht als Menschenrecht die Häufung materiellen Reichtums in wenigen Händen zuläßt und begünstigt; und materieller Reichtum bedeutet in einer durch Besitzverhältnisse strukturierten Gesellschaft zugleich politische Macht. Im Kapitalismus als ökonomischer Ordnung entstehen unter den Mechanismen der Kapitalakkumulation immer größere Reichtumskonzentrationen, deren Eigentümer bzw. Funktionäre über die Mittel verfügen, politische Macht ohne Rücksicht auf kollektive Entscheidungsprozesse der Bürger, des Volkes auszuüben. Dabei läuft es im Ergebnis auf dasselbe hinaus, wenn solchen Entscheidungsprozessen materiell vorgegriffen wird (z.B. durch Investitionen, durch Schaffung von sog. Sachzwängen, durch Personalunion wirtschaftlicher und politischer Funktionen) oder wenn die politischen Instanzen unmittelbar beeinflußt werden (z.B. durch Korruption, Erpressung u.a.) oder wenn durch Herrschaft über die meinungsbildenden Medien das Bewußtsein der Massen so manipuliert wird, daß kontroverse Sachargumente nicht mehr nach Vernunftgründen gegeneinander abgewogen werden (sofern sie überhaupt noch auf den Tisch kommen). Es scheint so, als seien die Strukturen der kapitalistischen Gesellschaft prinzipiell ungeeignet, dem Demokratieverständnis der bürgerlichen Revolutionen und den daraus erwachsenden politischen Postulaten gerecht zu werden. Mit anderen Worten: Die bürgerliche Gesellschaft, die von kapitalistischen Produktionsverhältnissen bestimmt wird, gerät zu sich selbst in Widerspruch, je weiter sich diese Produktionsverhältnisse entwickeln. Seit Hegels Rechtsphilosophie und den Marxschen Reflexionen über die Hegelsche Staatsrechtslehre gibt es ein Bewußtsein von diesem Widerspruch; seit Marx' Kapital sind die grundlegenden historisch-logischen Formen herausgearbeitet, in denen sich dieser Widerspruch bewegt. Die Erkenntnis des Widerspruchs und die Formulierung der ihn charakterisierenden Kategorien gesellschaftlicher Prozesse sind ein Fortschritt im Bewußtsein der Freiheit. Probleme der Demokratie stellen sich in der weltgeschichtlichen Lage heute in zwei Perspektiven: Einmal erhebt sich die Frage, unter welchen Bedingungen und mit welchen Konzepten der Zerstörung demokratischer Instanzen des staatlich-gesellschaftlichen Lebens durch Verkehrung demokratischer Institutionen in ihr Gegenteil - nämlich in Instrumente der verschleierten Herrschaft partikulärer Interessen - entgegengewirkt und die Möglichkeit einer Entwicklung zu anderen, alternativen Organisationsformen der Gesellschaft offengehalten und eine solche Entwicklung eingeleitet werden kann. Zum zweiten schließt sich aber daran die Aufgabe, Vorstellungen zu entwickeln, wie eine emanzipatorische Gesellschaft, die den Selbstwiderspruch der bürgerlichen aufhebt, politisch aufgebaut sein muß, damit sie imstande sein kann, "den vielfältigen Willen von Millionen, Dutzenden oder Hunderten von Millionen weitverstreuter Menschen zu einer einzigen Autorität zu kondensieren" (Sartori) und in der zu einer ökonomischen Einheit zusammenwachsenden Welt vieler Nationen und Kulturen eine Kooperation herzustellen, »worin die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist« (Marx/Engels). Das vorliegende Heft von TOPOS beleuchtet Aspekte der ersten Frage - strukturelle in den Beiträgen von Alberto Burgio und Klaus von Raussendorff, theoriegeschichtliche in der Erinnerung an den großen bürgerlichen Rechtsphilosophen Gustav Radbruch und an den großen sozialistischen Politikwissenschaftler Wolfgang Abendroth. Der Vortrag von Ingetrud Pape gibt dazu den anthropologisch-metaphysischen Einstieg. Den Kontrapunkt dazu stellen die Dokumente aus dem Entnazifizierungsverfahren von Arnold Gehlen dar, in denen sich eine von akademischer Formgerechtheit verdeckte Unberührtheit von Problemen demokratischer bzw. antidemokratischer Denkweisen zeigt, die nachdenklich machen sollte. Der Diskussionsbeitrag von Hanfried Müller vollzieht den Anschluß an die (paradigmatische) Aktualität der deutschen Politik. Die Literaturberichte von Leonhard Froese und Roberte Finelli fügen sich dem Hauptthema ein. Das Thema Demokratie-Probleme ist damit für TOPOS nicht erledigt. Vielmehr werden seine Facetten immer wieder aufscheinen, wo es um den Zusammenhang von philosophischer Reflexion und politischer Wirklichkeit geht. Insbesondere die zweite Perspektive, die aus der Gegenwart in die Zukunft führt und in der Komponente einer wahrhaften Demokratie hervortreten, wird in einem späteren Heft anvisiert werden.

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