TOPOS 25
Ästhetik
Inhalt
AUFSÄTZE
Kunst als gegenständliche Tätigkeit
Hans Heinz Holz: Kriterien kunstkritischer Werturteile
Ansgar Knolle-Grothusen: Zu einigen Aspekten der Form-Inhalt-Problematik in der Architektur - dargestellt am Wettbewerb zum Palast der Sowjets, Moskau 1931/32
Detlef Kannapin: Zur politischen Ästhetik des Films
DOKUMENTATION
Hans Heinz Holz: Zum 100. Geburtstag von Anton Stankowski
Alfredo Bauer: Rede bei der Vorstellung der deutschen Ausgabe des Buches »Kritische Geschichte der Juden«
BERICHT
Eike Kopf: Erbringt China (k)einen Beitrag zur Theorie und Praxis des Sozialismus?
Editorial
Walter Benjamin schließt seinen Kunstwerk-Aufsatz mit den Sätzen: »›Fiat ars - pereat mundus‹, sagt der Faschismus und erwartet die künstlerische Befriedigung der von der Technik veränderten Sinneswahrnehmung, wie Marinetti bekennt, vom Kriege. Das ist offenbar die Vorstellung des l’art pour l’art. Die Menschheit, die einst bei Homer ein Schauobjekt für die Olympischen Götter war, ist es nun für sich selbst geworden. Ihre Selbstentfremdung hat jenen Grad erreicht, der sie ihre eigene Vernichtung als ästhetischen Genuß ersten Ranges erleben läßt. So steht es um die Ästhetisierung der Politik, welche der Faschismus betreibt. Der Kommunismus antwortet ihm mit der Politisierung der Kunst.«
Vordergründig bezieht sich das auf Inhalte. »Stahlgewitter« gegen »Im Westen nicht Neues«. Wenn Ernst Jünger im Zweiten Weltkrieg beschreibt, wie er vom Dach seines Hotels in Paris einen Bombenangriff auf die Stadt als ästhetisches Schauspiel genießt, braucht man nicht mehr zu fragen, was faschistische Ideologie und die ihr entsprechende Gesinnung ist. Brechts Gedicht »Die Teppichweber von Kujan-Bulak ehren Lenin« führt dagegen Praxis und Gesinnung kommunistischer Humanität beim Aufbau des Sozialismus vor.
So einfach ist die Sache aber nicht. Ein Großteil der Kunst entzöge sich der Frage nach dem politischen Gehalt, wenn nur auf das Thema des Werks geachtet würde. Wohin gehörte das zarte Liebesgedicht »Unter der Linden« von Walther von der Vogelweide, der doch wahrlich ein politischer Dichter war? Wo ist der politische Bezug eines nach dem Bade sich trocknenden Mädchens bei Renoir? Und anders herum: wie viele Kriegerdenkmäler sehen sich ähnlich, ob sie nun für die bei der Verteidigung des Sozialismus Gefallenen der Roten Armee oder für Mussolinis Krieger im Abessinien-Raubkrieg errichtet wurden!
Das Politische der Kunst, das auch den Mißbrauch der Ästhetik möglich macht, muß von einer anderen Ebene her begründet werden als von der Ebene der Thematik. Die bedeutende, zu Unrecht vergessene marxistische Kunsttheoretikerin Lu Märten hat schon früh in dem Buche »Wesen und Veränderung der Formen und Künste« auf den Zusammenhang der ästhetischen Formproblematik mit der Produktionssphäre aufmerksam gemacht. Produktion ist nach zielgerichteten Vorstellungen vollzogener Stoffwechsel des Menschen mit der Natur (Marx). D.h.: sie ist gegenständliche Tätigkeit im doppelten Sinne - am gegenständlich Gegebenen orientiert und materiell daran gebunden, und auf Erzeugung gegenständlicher Produkte gerichtet. Faßt man die Kategorie Gegenstand allgemein und subsumiert darunter im Rahmen eines entwickelten Systems der Bedürfnisse auch »ideelle« Gegenstände, so läßt sich künstlerisches Schaffen als eine ausnehmend besondere Art gegenständlicher Tätigkeit begreifen und das ausnehmend Besondere der Kunst in der Differenz von ästhetischem und Gebrauchswert fundieren. Die Aufsätze von Hans Jörg Glattfelder und Hans Heinz Holz nehmen diese Thematik auf.
Daß die gegenstandstheoretische Lokalisierung von Kunst ohne Umschweife in gattungsspezifischen Formproblemen der Künste ihre Konkretisierung findet, zeigen die auf systematische Begriffsbildung hinführenden Aufsätze von Ansgar Knolle-Grothusen über die Probleme beim Wettbewerb für den Sowjetpalast und von Detlef Kannapin über den Film nach 1945. Das Gedenken an Anton Stankowski, der das optische Erscheinungsbild von TOPOS entwarf, anläßlich seines 100. Geburtstags und der dazu veranstalteten Ausstellungsserie ergänzt diesen Gesichtspunkt.
An das China-Heft von TOPOS knüpft der Bericht von Eike Kopf aus Beijing an, dem nach dem Parteitag der KPCh besondere informative Bedeutung zukommt. Die Dokumentation der Forschungsarbeiten von Alfredo Bauer öffnet ein Fenster in einen Bereich aktueller Historie von hoher politischer Brisanz; es wäre schön, wenn sich daran Diskussionen anschließen würden. Vorausschauend sei darauf hingewiesen, daß der Schwerpunkt des bald folgenden TOPOS 26 dem politischen und politikwissenschaftlichen Werk Wolfgang Abendroths gewidmet ist, dessen 100. Geburtstags am 2. Mai zu gedenken war; er ist einer der großen Gestalten sozialistischer und demokratischer Tradition in Deutschland
.