TOPOS 32
Grundgesetz
Inhalt
Potsdamer Abkommen. Mit einer Vorbemerkung von Hans Heinz Holz
AUFSÄTZE
Hermann Klenner: Deutsche Verfassungsprobleme - Geschichte und Gegenwart
Peter Römer: Die Friedenspflicht im Grundgesetz
Hans Heinz Holz: Der frühe Tod des Grundgesetzes. Das KPD Verbot - der Präzedenzfall für die Aushöhlung der Demokratie in der BRD pdf
Andreas Fisahn: Funktionswandel von Verfassungsnormen. Normative Geltung und normative Kraft des Faktischen
DOKUMENTATION
Peter Alfons Steiniger: Hat das Deutsche Volk ein Recht auf Selbstbestimmung seiner Verfassung?
AUS LITERATUR UND FORSCHUNG
Hans Heinz Holz: Ordnung - Recht - Gesellschaft. Ein Literaturbericht
Editorial
Die heilige
Allianz des Morgenlands,
die jetzt kanonisieret,
sie hat vielleicht nicht immer schön
und fromm sich aufgeführet.
Der Balthasar
und der Melchior,
die waren vielleicht zwei Gäuche,
die eine Konstitution
versprochen ihrem Reiche.
Und später
nicht Wort gehalten. Es hat
Herr Caspar, der König der Mohren,
vielleicht mit schwarzem Undank sogar
belohnt sein Volk, die Toren.
Heinrich
Heine.
Deutschland - ein Wintermärchen
Nein, in seiner Parodie auf die drei Weisen aus dem Morgenlande, die wir voranstellen, hat Heine natürlich nicht die Schöpfer des Grundgesetzes der BRD gemeint. Aber es klingt, als hätte er sie hundert Jahre zuvor antizipiert. Wenn wir in dieser Nummer von TOPOS, sechzig Jahre nach der Gründung der BDR durch dieses Grundgesetz, Rückblick halten auf die Entwicklung des Staates, der damals vom Volk gewünscht und konzipiert wurde, so liegt die Assoziation nicht fern. Deutschland - ein Wintermärchen. Es ist schon eine arktische Winterkälte, die mit dem Kollaps des kapitalistischen Weltfinanzsystems über uns gekommen ist. Jetzt kann jeder sehen, was allgemeine Krise des Kapitalismus heißt.
Staatsrechtler und Politikwissenschaftler wie Helmut Ridder und Wolfgang Abendroth, Peter Römer, Gerhard Stuby und Norman Paech und viele andere haben immer darauf hingewiesen, daß die Krise des Kapitalismus eine Zerstörung der demokratischen Gesellschaftsstruktur und Rechtsform mit sich bringe, weil in der Klassengesellschaft der Staat eben der Staat der herrschenden Klasse ist und zum Instrument ihrer Herrschaftserhaltung ausgebaut wird. In Zeiten ökonomischen Aufschwungs kann der Staat dieser Funktion mit dem Anschein eines geregelten Interessenausgleichs genügen, was immer auch Zugeständnisse an die Interessen der Beherrschten einschließt. Die Ideologien der sozialen Marktwirtschaft und der Sozialpartnerschaft verbreiteten das Scheinbild einer neutralen, über den Parteien und Interessengruppen stehenden Staatstätigkeit. Tatsächlich hat die herrschende Klasse in allen Phasen der Geschichte der BRD den Abbau der demokratischen Rechte, die dem Schutz gegen Interessen- und Machtwillkür dienen, betrieben, sich über Rechtsnormen hinweggesetzt und sich durch Grundgesetzänderungen oder -verletzungen die Mittel verschafft, ihre Herrschaft notfalls auch mit Gewalt aufrechterhalten und ihre Ziele durchsetzen zu können. Die imperialistische Strategie, die auf Dominanz in Europa, auf Abhängigkeit Osteuropas bis hin zu den mittelasiatischen Regionen (wodurch das militärische Engagement in Afghanistan bedingt ist) und gleichberechtigte Weltmachtstellung im transatlantischen Bündnis und in der UNO ausgeht, erfordert die Gleichschaltung an der Heimatfront. Auch nur Spuren von Klassenkampf würden die Expansion des deutschen Kapitals stören. Die Stillstellung und Verhinderung von Klassenauseinandersetzungen war darum von Anfang an innenpolitisches Hauptanliegen der Kapitalmächte in der BRD. Dem ist das Grundgesetz, wie es einmal war, zum Opfer gefallen.
Zwei Aufsätze in diesem Heft haben unmittelbar mit der Zersetzung des Grundgesetzes zu tun. Peter Römers Nachweis der Friedenspflicht, nach dem Jugoslawien-Krieg und nun der Militärintervention in Afghanistan eine Wesensfrage unseres Staates, und Hans Heinz Holz’ Analyse des KPD-Verbotsprozesses, in dem er den ersten Todesstoß erkennt, der dem Grundgesetz versetzt wurde. Das theoretische Umfeld, in dem diese beiden Einzelbetrachtungen angesiedelt sind, erkundet der grundsätzliche Aufsatz von Hermann Klenner. Und Andreas Fisahn zeigt in seinem Beitrag, wie die Erosion des Grundgesetzes ihre permanente Fortsetzung durch die politischen Maxime der Europäischen Union findet.
Dem Heft vorangestellt haben wir den Text des Potsdamer Abkommens, die völkerrechtlich einzige, durch keinen späteren einverständlichen völkerrechtlichen Akt überholte oder abgelöste Grundlage für die völker- und staatsrechtliche Gestalt Nachkriegsdeutschlands. Wenn auch die Geschichte dieses Dokument in die Archive verbannt hat, lohnt sich doch die Lektüre, um in Erinnerung zu rufen, welche machtpolitische Willkür unter Bruch des Vertrages den heutigen Zustand herbeigeführt hat.
Aus der Zeit der deutschen Volkskongreßbewegung wird die Rede von Peter Alfons Steiniger, dem Vater der späteren DDR-Verfassung, dokumentiert. Sie enthält auch Überlegungen, die inzwischen eine hochbrisante Aktualität bekommen haben. Gegenstand des Literaturberichts ist der weitreichende Zusammenhang von Gesellschafts- und Rechtsordnung. Er behandelt Neuerscheinungen dieses Jahres, die unsere Leser besonders interessieren mögen, da alle drei Autoren auch schon Autoren von Topos-Beiträgen waren.