TOPOS 8

Aufklärung


Inhalt

AUFSÄTZE

I. Zur Aufklärung - Aus den Vorlesungen von Werner Krauss

Werner Krauss: Notate zur Periodisierung der Aufklärung (4.10.1954)

Werner Krauss: Notate zu den Enzyklopädisten (1.12.1953)

Werner Krauss: Notate zu d'Alemberts »Discours preliminaire« und der Fortschrittsgedanke (15.12.1953)

II. Aufklärung und Gegenaufklärung heute

Winfried Schröder: Aufklärung als historisches Phänomen und als Gegenstand aktueller Debatten. Zum Streit um die Aufklärung heute

Claus Träger: Geschichtlichkeit - Aufklärung - Revolution. Literatur im Gang der Zeiten

Werner Seppmann: »Postmodernes« Denken und vormoderne Weltanschauung. Marginalien über den Rechtsextremismus und den Verfall theoretischer Vernunft

DISKUSSION

Thomas Schröder: Der Prozeß der Säkularisation und das Ende der Naturgeschichte. Zur Kritik der »Politischen Theologie«

Markus Schweisthal: Anmerkungen zu Beiträgen von Holz und Weingarten im Heft »Dialektik-Konzepte«

AUS DEN ARCHIVEN

Werner Krauss: Opfertod der antifaschistischen Studentin Ursula Goetze nach der Niederschrift ihres Leidensgenossen Universitätsprofessor Dr. Werner Krauss in Marburg, Rotenberg 28 a.


Editorial

Vor zwanzig Jahren, am 28. August 1976, starb sechsundsiebzigjährig Werner Krauss. Seine Bedeutung für den Marxismus kann nicht hoch genug geschätzt werden. Er war nicht nur ein international angesehener, ja bewunderter Romanist mit einem feinen Gespür für sprachliche und literarische Phänomene; ein Geisteswissenschaftler, der das geschichtliche Ganze einer Kultur und ihrer gesellschaftlichen Grundlagen als eine lebendige Einheit vor uns hinzustellen vermochte; ein philosophischer Kopf, der die methodologischen und kategorialen Grundlagen seiner Wissenschaft und menschlicher Geistestätigkeit überhaupt reflektierte. Er war auch ein unbeugsamer Kämpfer. Das hat er seiner Natur, die eher zum Lebensgenuß, dem leiblichsinnlichen wie dem ästhetisch-geistigen, neigte, aus Einsicht abgefordert und abgerungen. Seine intellektuelle Redlichkeit war so unbedingt, daß sie kein Schwanken in der moralischen Haltung zugelassen hätte. So wurde er zum politischen Menschen, und das Politische durchdrang sein ganzes Wesen und Denken und gab ihm eine besondere Färbung. Die ersten Erfahrungen mit einer frühfaschistischen Diktatur, dem Regime Primo de Riveras in Spanien (wo er auch zum ersten Mal mit dem Gefängnis Bekanntschaft machte), weckten sein Verständnis für die Einheit von Geschichte, Kultur und Politik und die Erkenntnis, wie gefährdet der humanistische Sinn dieser Einheit ist. Dieser Erkenntnis mit theoretischer Strenge auf den Grund gehend, fand er im Marxismus den Schlüssel zur Erklärung der geschichtlichen Situation und den Leitfaden zum Handeln in ihr. Das war kein Kathedermarxismus, der sich auf theoretische Analysen beschränkte. Theorie erfüllt und verwirklicht sich im politischen Engagement. So wurde die Machtübernahme der Nazis 1933 für den gerade habilitierten Privatdozenten zur Stunde der Bewährung. 1945 hat Werner Krauss einen knappen Bericht über die Tätigkeiten niedergeschrieben, die ihn schließlich in die Widerstandsgruppe der sogenannten »Roten Kapelle« führten. Wir drucken diesen Bericht im Archivteil dieses Heftes ab. Zum Tode verurteilt und in der Zelle auf seine Hinrichtung wartend, gab Werner Krauss nicht auf. Er schrieb unter diesen Umständen eines der schönsten Bücher, das die deutsche Romanistik hervorgebracht hat, »Gracians Lebenslehre«. Nichts ist darin von der Not und Bedrängnis zu spüren, unter der dieses Bild des widerspruchsvollen »sigio d'oro« im Brennspiegel einer geistigen Leistung entworfen wurde Krauss schrieb aber auch auf winzigen Kassibern, die aus dem Zuchthaus Plötzensee zu Freunden herausgeschmuggelt wurden, den Schlüsselroman »PLN«, eine aus dem Geiste manieristischer Allegorik gestaltete Abrechnung mit dem Nationalsozialismus. Für uns heute ist das Beispiel des Menschen und die Leuchtkraft seiner Schriften erinnerungswürdig. Aber nicht nur das. Die Aufklärungsforschung, die in den letzten fünfundzwanzig Jahren seines Lebens das Zentrum seiner Arbeit bildete und die er mit seinen Mitarbeitern auf höchstes Niveau brachte, ist nicht nur Vergegenwärtigung eines Stückes europäischer Geistesgeschichte. Die Aufklärung war für Krauss und seine Mitstreiter der weltanschauliche Kern, von dem her gegen Irrationalismus und Obskurantismus Jener Strömungen, die an der »Zerstörung der Vernunft« arbeiteten, die Gesinnung und die Begrifflichkeit eines freien, sich selbst aus Vernunftgründen bestimmenden Menschseins ausgebildet werden konnte Er stand in der Tradition jenes stolzen Kant-Worts, Aufklärung sei der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Das heißt nicht, daß Aufklärung für Krauss und seine Schule zu einem ahistorischen Ideal verklärt worden wäre. Er beschrieb scharfsinnig auch die Widersprüche, die in den Ideologien des selbstbewußten bürgerlichen Individuums auftreten - die Dialektik der Aufklärung, aber nicht jene, die in ihr Gegenteil umschlägt (wie im Konzept von Horkheimer und Adorno), sondern eine Dialektik, die aus sich den Übergang zu Gestaltungen menschlicher Solidarität, zur neuen Formation einer sozialistischen Gesellschaft hervorgehen läßt. Diese Dialektik der Aufklärung öffnet sich ihm zu einer Epoche, in der der Widerspruch zwischen Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit, den die bürgerliche Revolution nicht auflösen konnte, würde aufgehoben werden können. Ein dem Gedächtnis von Werner Krauss gewidmetes Heft hat in einer Zeit, in der die Gegenaufklärung an allen Fronten der Weltanschauung zur Offensive angetreten ist und die Strenge wissenschaftlichen Denkens zu sprengen versucht, mehr als einen bloßen Erinnerungswert (den Werner Krauss selbst am wenigsten geschätzt hätte). Ee ist ein Heft, das der Verteidigung einer Bastion dialektischer Vernunft dienen soll. Zugleich ein Heft, das dem seit der Romantik gepflegten diffamierenden Vorurteil von der »platten« Aufklärung gar »Aufkläricht« genannt, den Beweis der Differenziertheit und des theoretischen Tiefgangs (nicht »Tiefsinns«) aufklärerischen Denkens entgegensetzen möchte. Daß wir mit Zeugnissen aus der Lehrtätigkeit von Werner Krauss beginnen können, erachten wir als eine besondere Auszeichnung; für sie zu danken haben wir Winfried Schröder, dem langjährigen Mitarbeiter von Krauss, der uns die Vorlesungsprotokolle aus seinem Besitz zum Abdruck zur Verfügung stellte, wie auch die Niederschrift des Berichts über die Widerstandstätigkeit vermittelte. ...

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